Von „ASTŌDĀN” und „Türmen des Schweigens”

Ein Vortrag im Rahmen der Plenumssitzung von Maral Schumann

Ein Beitrag von Benny Waszk

Am 02.02.2023 fand sich das Graduiertenkolleg 1876 wieder zu einem Vortrag zusammen, bei dem unsere Kollegin Maral Schumann in Form einer Tandempräsentation mit Dr. Alexander Tamm – wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Vorderasiatischen Archäologie der JGU Mainz – über die Bestattungssitten im Sasanidenreich unter dem Titel „Burial customs and concepts of the dead body in the Sasanian Empire – Reflections on the evidence of different religious communities in the archaeological record“ referierte. Das Ziel des Vortrages war es, mögliche Unterschiede im Bestattungsritual christlicher und zoroastrischer Gruppen herauszuarbeiten, wobei schriftliche und materielle Quellen gegenübergestellt wurden.

Den Einstieg bildete ein kurzer Umriss des geografischen und zeitlichen Rahmens und eine Einführung in die Grundlagen des Zoroastrismus und des Christentums  unter den Sasaniden und der wechselhaften Geschichte, die beide Religionsgemeinschaften miteinander teilten. So datiert das neupersische Reich der Sasaniden vom 3. Jh. Bis 7. Jh. n. Ch. und erstreckte sich von Mesopotamien bis nach Mittelasien  – es umfasste somit weitestgehend das moderne Staatsgebiet des Iraks, Irans, Armeniens, Georgiens, Aserbaidschans, Turkmenistans, Afghanistans und Pakistans (Abb.1).

Abb. 1 (© Maral Schumann)

Die Staatsreligion des Sasanidenreichs war eine orthodoxe Variante des Zoroastrismus, wobei auch andere Glaubensgemeinschaften phasenweise toleriert wurden. Das Kernelement dieser vermutlich  in Baktrien entstandenen Religion ist eine monotheistische Glaubenslehre die sich um das duale Verhältnis des Schöpfergottes Ahura Mazda und seines Widersachers Ahriman dreht. Zu weiteren charakteristischen Konzepten gehört die Reinheit des Feuers, des Wassers und der Erde und (teilweise daraus abgeleitet) ausgesprochen komplexen Sekundärbestattungen.

Die schriftlichen Überlieferungen berichten laut Referenten immer wieder von Spannungen zwischen Christen und Zoroastriern, welche ihren Höhepunkt in der Zerstörung von Feuertempeln oder Christenverfolgungen fanden. Letztere werden von wissenschaftlicher Seite vor allem in der Frühzeit des Sasanidenreichs oftmals als politisch motiviert klassifiziert, da die Christen zu dieser Zeit als Verbündete der römischen  Kirche angesehen wurden und entsprechende Progromme bei militärischen Konflikten mit den römischen Reich auftraten. Als sich Anfang des 5. Jh. die persischen Kirchen vollends in der Apostolischen Kirche des Ostens von der Katholischen Kirche abspaltete, konnten  Christen unter wohlgesonnenen Herrschern auch höhere Ämter im Sasanidenreich erreichen. Die späteren Gründe für Verfolgungen lag in den Gegensätzen der jeweiligen religiösen Sitten und den unerwünschten Übertritt von Zoroastriern zum Christentum.

Was sowohl externe als auch interne Schriftquellen immer wieder hervorheben, ist das Bestattungsritual der Zoroastrier. So berichtet ein griechischer Autor, dass ein persischer Sklave darum bat, nach persischer Sitte bestattet zu werden, indem man den Körper auf die Erde legt und nicht das Wasser, die Erde oder  das Feuer mit dem Leichnam verunreinigt bzw. entweiht (Anthologia Palatina 7.162).  Umgekehrt gab es auch Berichte von Christen, welche sich eine vergleichbare – als „persisch“ bezeichnete – Bestattung wünschten. Manche Autoren beschreiben, dass es persischer Brauch ist die Toten „den Vögeln und Hunden auszusetzen“ (De bello Persico 1.12.2-6). Diese Berichte decken sich im Großen und Ganzen mit den aus der Avesta überlieferten Textabschnitten, welche ausschließlich Sekundärbestattungen beschreiben. Die mythologisch-historischen Texte  beschreiben einzig die Mumifizierung des Körpers mit anschließender Bestattung in einem Kultgrab. Antike Textschreiber erwähnen Kultgräber  und Sonnenbestattungen – einzig die von externen Quellen teilweise geschilderte Erdbestattung war laut religiösen Texten strikt verboten. Die Mumifizierung war dem Adel, Königshaus oder Helden vorbehalten.

Aus den religiösen Texten arbeitete Maral ein überzeugendes Schema der Bestattungsetappen heraus, welches dementsprechend für die zoroastrische Mehrheitsbevölkerung galt (Abb.2). Der erste obligatorische Schritt ist die Entfleischung des Körpers, bei der der Leichnam in die Sonne gelegt wurde. Scheint keine Sonne werden die Körper bis zum Auftreten geeigneter Witterungsbedingungen zwischengelagert. Sobald die Knochen entfleischt und „trocken“ sind, hängt der weitere Umgang mit den sterblichen Überresten von den involvierten Akteuren und den Rahmenbedingungen ab. So wurden bei entsprechenden finanziellen Möglichkeiten, die Überreste im Anschluss in einem Knochenbehälter (dem sogenannten astodān) beigesetzt oder von einem anderen Zoroastrier  zu einer Knochensammelgrube verbracht. Die genaue Form der Knochenbehälter ist jedoch nicht vorgeschrieben, so dass überlieferte Grabinschriften sowohl Felsnischen, Felskammern oder Ossuarien mit den Begriff astodān kennzeichnen. Dies gilt auch für den zweiten aus den Inschriften bekannten Begriff daxma, welcher „Grab“ bedeutet und u.a. auch für Pfeilerossuarien  verwendet wird. Im rezenten Sprachgebrauch werden daxma auch als „Türme des Schweigens“ bezeichnet.


Abb. 2 (© Maral Schumann)

In der zweiten Hälfte des Vortrages stellte Dr. Alexander Tamm die aus dem sasanidischen Reich bekannten Bestattungsformen und archäologischen Befunde vor. Die erste Bestattungsform beschreibt die Bestattung in Behältern in Form von Steinkisten und sogenannten Torpedo Jars (Abb.3). Letztere waren vor allem im Golfgebiet verbreitet und vermutlich günstiger als die aufwendigeren Steinkisten. Die wenigen anthropologischen Studien des Knochenmaterials zeigen sowohl für Steinboxen als auch Torpedo Jars ein längeres Auslegen des Leichnams an der Luft. Beide Formen der Behälterbestattung stehen im Einklang mit den zoroastrischen Bestattungsregeln, aber im Einzelfall verweisen auch Siegel mit Kreuzmotiv auf christliche Bestattungen. Ähnliches gilt für die zweite von Alexander vorgestellte Bestattungsform in Form von Felsnischen und Grüften (Abb.4), welche aus dem Fars – dem sassanidischen Kernland – bekannt sind. Auch hier können Anhand der Inschriften die Bestattungen im Einzelfall auch christlichen Individuen zugeordnet werden. Die Pfeilergruben bzw. Pfeilerossuarien sind in insgesamt 10 Fällen aus der Fars überliefert und werden als Säule mit einer auf der Spitze gelegenen Eintiefung für das sekundäre Knochenmaterial charakterisiert (Abb.5). Diese werden klassischerweise als zoroastrische Bestattung angesehen, doch aufgrund der geringen Anzahl und der wenigen Inschriften kann – auch mit Blick auf die christlichen Bestattungen in Felsnischen – eine Verwendung von anderen Glaubensgemeinschaften nicht ausgeschlossen werden. Eine methodische Überlegung, die von Alexander nachvollziehbar auf die Bestattungsform der Felskisten übertragen wurde.




Abb. 3-5 (© Maral Schumann)

Ein Sonderfall stellen die Sekundärbestattungen wie beispielsweise in Qalagta Darband dar (Abb.6). Hier wurde innerhalb eines aufgegebenen Gebäudes Knochenhaufen im Erdreich nachgewiesen. Auch hier ist eine Zuordnung der Verstorbenen zur christlichen Glaubensgemeinschaft nicht möglich, denn die Architektur mit ihrem Laufhorizont und den Mauern schirmt die Verstorbenen ausreichend vom umliegenden Erdreich ab. Es scheint jedoch auf den ersten Blick eine eher provisorische Bestattungsweise darzustellen. Nur Gräberfelder mit Erdbestattungen, welche sich in sasanidischer Zeit von der Fars bis ins heutige Armenien erstreckten, widersprechen eindeutig den Bestattungsregeln der zoroastrischen Glaubenslehre. Hinweise auf den christlichen Glauben der Verstorbenen liefern im Einzelfall jedoch nur regionale Baubefunde wie Klöster und entsprechende Ansprachen in historischen Texten. Die Grabbeigaben selbst zeigen kaum bis keine christliche Symbolik.

Alle vorgestellten sasanidischen Bestattungsformen haben jedoch ein massives Datierungsproblem gemein. Steinkisten, Felsnischen und Ossuarien können nur anhand der wenigen Inschriften datiert werden und der Zoroastrismus wurde nicht vollständig mit Auftreten des Islamischen Glaubens aufgegeben, so dass einige der Gräber auch deutlich jünger datieren können. Gleichzeitig beschränkte sich die strengste Auslegung der zoroastrischen Regeln einzig auf das sasanidische Kernland, in den umliegenden Gebieten wurde die Bestattungsform freier gehandhabt.

Zusammenfassend zeigten Maral Schumann und Alexander Tamm somit, dass eine klare Einordnung der sasanidischen Bestattungssitten als christlich oder zoroastrisch nur in den seltensten Fällen und nur durch klare christliche Symbolik  und/oder Grabinschriften möglich ist. Zum einen waren phasenweise alle Bewohner des Reiches verpflichtet, sich nach zoroastrischem Brauch bestatten zu lassen und zum anderen erfüllten Steinkisten, Knochengefäße und Felsgräber allein durch ihre Beschaffenheit automatisch die Kriterien für eine regelkonforme Bestattung nach zoroastrischem Ritus: Die Knochen dürfen die Erde nicht berühren. Dass dem Zoroastrismus Gottesbilder fremd sind, erschwert die eindeutige Einordnung zusätzlich, da dementsprechend auch nicht mit entsprechender Ikonografie im Beigabenmaterial gerechnet werden kann. Allgemein scheinen zoroastrische Bestattungen aufgrund ihrer Beschaffenheit als sekundäre Bestattungen des Knochenmaterials eher beigabenarm zu sein.

Die Gräberfelder mit Erdbestattungen außerhalb der Fars bilden somit die einzige Möglichkeit, detailliertere Aussagen zum Glauben der Verstorbenen zu treffen, da deren Bestattungsform den religiösen Bestattungssitten der Zoroastrier  widerspricht. Im Fall des Sasanidenreiches ist es somit nicht möglich, eine Religionsangehörigkeit anhand der Grabbefunde befriedigend abzulesen, sondern vielmehr können einzelne Glaubensgemeinschaften nur durch Beobachtungen wie Erd- oder Feuerbestattung ausgeschlossen werden.

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