Zwischen Kuriosem und Sepulkralkultur – eine Exkursion nach Hannoversch Münden und Kassel

Ein Beitrag von Alexandra Hilgner, Michelle Frank und Sibel Kayan

Im Nachgang an unsere Ausstellung reiste eine kleine Delegation des Graduiertenkollegs vom 20.-21. Oktober 2022 nach Hann. Münden und Kassel, um dort einige Museen und die Ausstellungen unserer Kooperationspartner zu besuchen.

Auf dem Weg in die Wunderkammer: Die Altstadt von Hannoversch Münden wirkt, wie aus der Zeit gefallen (Foto: A. Hilgner).

Die Reise führte uns durch den waldreichen Norden Hessens und bis über die Grenze nach Niedersachsen. Die erste Station war die Drei-Flüsse-Stadt Hannoversch Münden mit ihrer beindruckenden Altstadt. Hier waren wir verabredet mit dem Team von „Dr. Wolfs Wunderkammer“, einem unserer Partner und Leihgeber in unserer Ausstellung „beZAUBERnde ORTE“. In der Wunderkammer, einem „Museum für Geschichten, Kunst und Kurioses“, erwartete uns eine Privatführung von Dr. Daniel Wolf. Der Kunstwissenschaftler erläuterte uns das historische Ausstellungskonzept, welches hinter Wunderkammern steht, und präsentierte uns seine Sammlungsidee einer „Welt im Wohnzimmer“. Hier durfte man aktiv rätseln und staunen, Teil von Experimenten werden oder geheime Welten in Schränken entdecken. Auf der Sonderausstellungsfläche konnten wir einige alte Bekannte wiedertreffen: hier tummeln sich verschiedene Fabelwesen von „Forgotten Creatures“, einem weiteren Partner und Leihgeber unserer Ausstellung. Florian Schäfer, der Schöpfer der wundersamen Wesen, führte uns durch das „Kabinett der Kreaturen“. 

Impressionen aus der Wunderkammer: auf den ersten Blick ein wenig reizüberflutend, erkennt man auf den zweiten Blick viele interessante Objekte und Details. In der Vitrine findet sich z.B. die „Meerjungfrau“, die wir als Leihgabe bei unserer Ausstellung im Sommer 2022 präsentieren konnten (Foto: M. Frank).

Wiedersehen mit einem alten Bekannten: „Berthold“, das spätantike Einhorn besuchte uns in Mainz im Sommer 2022 als Leihgabe für unsere Ausstellung (Foto: A. Hilgner).

Am Abend ging es weiter nach Kassel, wo wir am nächsten Morgen die Grimmwelt besuchten.  Dieses Museum ist weltweit das Größte, welches sich dem Lebenswerk der Brüder Grimm widmet. Ausstellungsdidaktisch hochmodern und visuell sehr ansprechend, befindet sich hier eine Kombination aus historischen Objekten, modernen Kunstwerken und Mit-Mach-Installationen.

Märchen und Erzählungen beschäftigten uns für längere Zeit in der Ausstellungskonzeption, da sie sich oft an geheimnisvolle und mystische Orte in der Natur ranken. Umso eindrucksvoller war für uns die Ausstellung in der Grimmwelt, welche sich zwar auch mit der Sammlung und dem Inhalt der grimmschen Märchen beschäftigt, den Fokus jedoch nicht auf die Orte, sondern um die moderne Rezeption sowie die historischen Wurzeln dieser legt. Genau dies ist das reizvolle an Märchen und Erzählungen: sie bedeuten für jeden etwas anderes, sind jedoch im gesellschaftlichen Gedächtnis stark verwurzelt und ihnen scheint somit etwas fast Magisches innezuwohnen. 

Installation „1119 Belegzettel zum Lemma ZETTEL für das Deutsche Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm“. Die Gebrüder Grimm recherchierten den Gebrauch einzelner Wörter in der neudeutschen Literatur zwischen Luther und dem 19. Jahrhundert für ihr größtes Projekt: Das Deutsche Wörterbuch (Foto: A. Hilgner).


Die Entstehung des „Deutschen Wörterbuches“ und der Lebensweg der Gebrüder Grimm, präsentiert in 14 Dioramen mit aufwändigen Papiercollagen (Foto: A. Hilgner).

Direkt neben der Grimmwelt befindet sich das Museum für Sepulkralkultur, welches dem Besucher den kulturellen und materiellem Umgang mit den Themen Sterben, Tod, Bestattung und Trauer näherbringt. Die aktuelle Dauerausstellung fokussiert sich auf die Entwicklung der Grabmalkultur vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Ein weiterer Aspekt der Exposition widmet sich einer historischen-vergleichender Sicht verschiedener Regionen, welche von der christlich-abendländischen Kultur geprägt sind.  Diese Exponate stammen überwiegend aus dem Zeitraum vom 1. Jh. n. Chr. bis heute. 

Besondere Aufmerksamkeit verdienen dabei die Ausstellungsobjekte, welche die Themen Tod, Trauer und Vergänglichkeit in der Kunst beleuchten. Von modernen Exponaten, wie etwa den sogenannten Brotköpfen des Künstlers Harry Kramer (1925-1997), bis hin zu materiellen Ausdrucksformen der mittelalterlichen Sicht auf Trauer und Vergänglichkeit beleuchtet die Ausstellung stets vergleichend die Auseinandersetzung der Menschen mit dem Tod. Dabei ist im Besonderen die Sammlung repräsentativ gestalteter Holzsärge der Familie von Stockhausen hervorzuheben, einem westfälischem Adelsgeschlecht, das bis ins 20. Jh. einen großen Einfluss in der Umgebung von Kassel ausübte. Die Särge bringen z.T. den im Mittelalter vorherrschenden Glauben über die sog. Wiedergänger zum Ausdruck. Es handelt sich hierbei um die Vorstellung von Toten, die zum Leben zurückkehren können, sofern zwischen diesen und dem Diesseits eine starke Verbindung besteht. Diese Anschauungen bilden zum einen eine Schnittstelle zu den Märchen, denen wir in der Grimmwelt begegnet sind. Verschiedene Geschichten, wie beispielsweise vom kopflosen Reiter, verkörpern die Idee über wiederkehrende Tote und bieten einen großen Raum für Interpretationen, die v.a. in der Literatur und Kunst stetig Eingang findet. Zum anderen heben diese Vorstellungen das Potential für Universalien hervor, deren Untersuchung sich das GRK verschrieben hat. Hierzu geben die Exponate der Dauerausstellung für Sepulkralkultur mehrere Anregungen, die z.T. an Aspekte noch laufender Dissertationsprojekte im GRK anknüpfen (Rebekka Pabst: Der tote Körper. Untersuchungen zu Konzepten vom Leichnam im Alten Ägypten; Oxana Polozhentseva: Tote Körper. Semantiken des Sterblichen / Vergänglichen in den mittelalterlichen deutschen Texten; Sibel Kayan: Konzepte und Praktiken des idealen Sterbens in Byzanz vom 4. bis zum frühen 13. Jh.), aus denen insgesamt aufschlussreiche Erkenntnissen zum Forschungspunkt „D) Konzepte vom menschlichen Körper, von Krankheit, Heilung und Tod“ gewonnen werden können.

Nach diesem eher nachdenklich stimmenden Besuch machten wir uns auf die mehrstündige Rückfahrt, bei welcher noch anregend über die verschiedenen Ausstellungen diskutiert wurde. 

Aufwändig verzierte Särge im „Museum für Sepulkralkultur“ (Foto: A. Hilgner).

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