Die dritte Konferenz des Graduiertenkollegs zum Thema “Concepts of Humans and Nature in Historical Perspective: Universals and Variations, Continuities and Transformations” am 6.-8. September 2022

Ein Beitrag von Sibel Kayan

Am 6.-8. September 2022 fand die nunmehr dritte Konferenz des Graduiertenkollegs an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz statt, die erstmals nach der Corona-Pandemie das Zusammenkommen verschiedener Fachbereiche zu einem interdisziplinären Austausch ermöglichte. Zu diesem Anlass wurden kompetente Wissenschaftler*innen aus Deutschland, den Niederlanden und England eingeladen, die dem Titel der Konferenz entsprechend aktuelle Forschungsansätze und -erkenntnisse zu den Themenbereichen „Mensch“ und „Natur“ aus ihren jeweiligen Fachgebieten zur Diskussion stellten. Im Mittelpunkt der Konferenz standen dabei die Fragen nach der Universalität von Konzepten in Bezug auf den menschlichen Körper sowie das Verhältnis zwischen Mensch und Natur in den untersuchten Gesellschaften. Es wurden zum einen nach wiederkehrenden oder konstanten Konzepten gefragt, die sich für den menschlichen Körper und dessen Funktionen auf sozialer, körperlicher und psychischer Ebene beobachten lassen. Zum anderen ging es um die Frage nach ähnlichen, wiederkehrenden Beziehungen und Interaktionsmustern zwischen Mensch und Natur, die sich in den jeweiligen Kulturen über die Zeit hinweg herausbildeten.

Der erste Tag der Konferenz widmete sich dem Themenbereich „Mensch“ und wurde mit dem Vortrag von Prof. Markham J. Geller (University College London) zur Anatomie des menschlichen Körpers nach dem Weltbild der Mesopotamier eingeleitet (Abb. 1). Dabei wies Geller darauf hin, dass sich aufgrund von fehlenden Belegen über systematische Autopsien an Leichen die anatomischen Kenntnisse der Mesopotamier im Allgemeinen von der Verabreichung und Wirkung von Medikamenten am menschlichen Körper herleitete. Am Beispiel des Zustands ŠÀ.ZI.GA bzw. nīš libbi (übers. aufrichten des Herzens), das sich auf den sexuellen Appetit oder das Fehlen desselben bezieht, zeigte Geller, wie die Mesopotamier anhand äußerlich sichtbarer Symptome auf innere Störungen schlossen, wodurch einzelne Organe von ihnen lokalisiert und identifiziert wurden.

Abb. 1: Vortrag Prof. Markham J. Geller (online zugeschaltet)

Mit dem Vortrag von Jonny Russell (Leiden/Mainz) zum Begriff sry.t im Alten Ägypten – was den natürlichen Hustenreflex bei Krankheit meint – folgte der Übergang zu den ägyptischen Vorstellungen vom menschlichen Körper und dessen Funktionen. Russell zielte dabei auf eine vollständige Neubewertung des Begriffs anhand ausgewählter Papyri ab, die sich mit dem Lexem sry.t und den damit verbundenen Krankheitsklassifikationen befassen. Dabei kam Russell zu dem Ergebnis, dass hinsichtlich der Wortbedeutung des ägyptischen sry.t und des mesopotamischen suālu semantische Gemeinsamkeiten bestehen, was auf eine Verbindung von ähnlichen, kognitiven Konzepten innerhalb dieser beiden Gesellschaften hindeute.

An diesen Gedanken knüpfte der nachfolgende Vortrag von Dr. Ulrike Steinert und Judit Garzón Rodríguez (Mainz) an, der sich mit der Konzeptualisierung von menschlichen Flüssigkeiten, insbesondere des Spermas in den alten mesopotamischen und ägyptischen Kulturen beschäftigte. Sperma wurde dabei in verschiedenen semantischen Kontexten gebraucht und konnte in Verbindung mit spezifischen Begriffen sowohl mit Fruchtbarkeit und Schöpfung (positiv) als auch mit Krankheit und Zerstörung (negativ) in Zusammenhang stehen. Dieser ambivalente Charakter lässt sich für beide Gesellschaften beobachten, wenngleich sich der vorherige Verdacht von Russell hinsichtlich ähnlicher kognitiver Konzepte in den beiden Kulturen nur teilweise bestätigen lässt. Steinert und Garzón Rodríguez kamen nämlich zu dem Ergebnis, dass sich konzeptuell deutliche Abweichungen innerhalb beider Gesellschaften erkennen lassen, was sich besonders in der Interpretation und Verbindung von Sperma und einzelnen Gottheiten zeige. 

Einen ähnlichen methodischen Ansatz verfolgte der Vortrag von Jessica Knebel und Sibel Kayan, geb. Ousta (Mainz), der sich ebenfalls der Untersuchung von gleichartigen Konzepten in verschiedenen Kulturen und Epochen widmete – in diesem Fall die Konzeptualisierung von Feuer im alten Ägypten und dem byzantinischen Reich. Dabei wurde von Knebel und Kayan der Schwerpunkt auf die Verwendung des Feuers als Mittel zur Bestrafung von Personen gelegt. In dem Vortrag wurde hervorgehoben, dass die Wirkung, die durch den Einsatz von Feuer gegen den (menschlichen) Körper erzielt wurde, in den untersuchten Kulturen unterschiedlich verstanden und gerechtfertigt wurde, so dass nicht nur negative Folgen, sondern auch positive Effekte, wie die Reinigung der Seele im christlichen Kontext (Fegefeuer), aus dem Einsatz des Feuers abgeleitet werden könne.  

Die Entstellung und Vernichtung des menschlichen Körpers nahm dabei einen wichtigen Punkt in der Interpretation der Textquellen bei Knebel und Kayan ein – ein Faktor, mit dem sich auch der nachfolgende Vortrag beschäftigte. Dr. Elisabeth Günther (Universität Trier) untersuchte in ihrem Vortrag die Inszenierung des hässlichen Körpers in der apulischen Vasenmalerei (Abb. 2). Dabei konzentrierte sich Günther auf sog. Phlyakenvasen, die das Ideal der Kalokagathie invertieren. Neben der Erzeugung eines komischen Effekts, unterstreichen diese Abbildungen gesellschaftliche Normen und Werte und bilden darüber hinaus eine bildspezifische Strategie zur Visualisierung komischer Narrative, was Günther zufolge der Parodie des antiken Körperideals diene.

Abb. 2: Dr. Elisabeth Günther zum Humor in der apulischen Vasenmalerei

Den letzten Vortrag zum Themenbereich „Mensch“ hielten die Kollegen Christoph Appel und Francisco Gómez Blanco (Mainz) über die Semantik und Medialität öffentlicher Gewalt und Schmerzen in der römischen Antike. Ihr Vortrag, der sich mit der komplexen Rolle des Körpers in Gewaltdarstellungen beschäftigte, verfolgte durch die Heranziehung schriftlicher und bildlicher Quellen aus der späten republikanischen und frühen Kaiserzeit (2. Jh. v. Chr. - 1. Jh. n. Chr.) einen intermedialen Ansatz. Eine von ihren vielen Beobachtungen stellte die Veränderung in den Darstellungen von Gladiatorenkämpfen dar, die Appel und Gómez Blanco zufolge in späterer Zeit vermehrt den (persönlichen) Verlust und die Trauer unterstreichen, die für gewöhnlich aus solchen Gewaltsituationen resultierten. 

Der zweite Tag der Konferenz, der den Themenbereich „Natur“ ins Blickfeld nahm, wurde mit dem Vortrag von Dr. Sara Kipfer (Heidelberg) zum Anthropomorphismus, Anthropopragmatismus und Anthropopathismus der Natur in der hebräischen Bibel eingeleitet. Dabei veranschaulichte Kipfer anhand zahlreicher Begrifflichkeiten aus dem Alten Testament, wie diese die Natur als Mensch mitsamt einzelnen (menschlichen) Körperteilen und Emotionen begreift (Abb. 3). Kipfer zufolge handelt es sich dabei um ein universelles Phänomen, das für alle Sprachen nachgewiesen werden kann. So werden in der kognitiven Linguistik Körperteile immer in irgendeiner Weise als Abstrakta verwendet. Für das Alte Testament ergibt dabei die Besonderheit, dass die „Vermenschlichung“ von Mutter Natur sowohl metaphorisch als auch wörtlich aufgefasst werden kann, weshalb die Auslegung dieser Passagen in der Forschung weiterhin als umstritten gilt.

Abb. 3: Dr. Sara Kipfer zu gesellschaftlich-natürlichen Verflechtungen als Universalien

Der nachfolgende Vortrag von Prof. Dr. Tobias Bulang (Universität Heidelberg) beschäftigte sich mit dem naturkundlichen Wissen mittelalterlicher Theologen, das neben schöpfungstheologischen Vorstellungen und exegetischen Reflexionen aus einem Großteil von tradiertem, antikem Wissen bestand. Bulang zufolge ist damit die „geistliche“ Naturkunde ein Medium der Rezeption antiker Naturkunden, welche besonders auf das Gedankengut des Philosophen Aristoteles rekurrieren. Anhand zahlreicher Beispiele zeigte Bulang wie diese alten Wissensbestände in den naturkundlichen Büchern des 13. Jhs. reflektiert und an christliche Vorstellungen jener Zeit angepasst wurden. 

Abschließend wurde mit dem Vortrag der Kollegen Nicky van de Beek und Benny Waszk (Mainz) eine auf archäologischen Befunden basierte Untersuchung zu Mensch-Tier-Interaktionen im prähistorischen Nahen Osten und Nordafrika vorgestellt. Dabei wurden von van de Beek und Waszk die Fundorte Hierakonpolis und Göbekli Tepe als Ausgangspunkte herangezogen, da die Befunde an beiden Orten – aufgrund des Mangels an schriftlichen Quellen – auf ein ähnliches Interpretationsproblem stoßen. Van de Beek und Waszk kamen dabei zu dem Ergebnis, dass die reichen Tierdarstellungen und -bestattungen an beiden Orten mit Jagdaktivitäten in Verbindung gebracht werden können.

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Die Konferenz zeigte eine große Bandbreite von kulturübergreifenden Universalien und kulturspezifischen Besonderheiten auf. Dabei wurde erneut unterstrichen, dass Konzepte in Bezug auf den menschlichen Körper sowie das Verhältnis zwischen Mensch und Natur stark von den jeweiligen Kulturen und Religionen geprägt waren, die ggf. diachronen Veränderungen unterlagen. Von wesentlicher Bedeutung für das Graduiertenkolleg ist dabei die Frage nach gemeinsamen Modellen, die  entwickelt und tradiert wurden, um Mensch und Natur zu verstehen und zu erklären. Im Rahmen der Konferenz wurden dabei verschiedene Gemeinsamkeiten in den untersuchten Kulturen offengelegt, von denen sich einige – wie die Tradierung und Modifikation von antikem Wissen im lateinischen Raum (Bulang) – gut nachvollziehen lassen, während andere mehrere Fragen aufwerfen und weitere Untersuchungen bedürfen. So sei hier auf die teilweise gemeinsamen, gesellschaftlichen Normen und Werte im Mittelmeerraum zu verweisen, die – wie im Fall von Hierakonpolis und Göbekli Tepe (van de Beek und Waszk) – nie in Kontakt getreten waren.

Abschließend bedanken wir uns herzlichst bei allen Teilnehmer*innen, der Organisation und allen Helfer*innen für die erfolgreiche Umsetzung der Konferenz, die für die Doktorand*innen des Graduiertenkollegs die beste Gelegenheit bot, übergreifende Vergleiche zu ihren eigenen Projekten zu ziehen.

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