Einblicke in die Anfänge der Menschheit: Gastvortrag von Prof. Dr. Daniel Richter

Ein Beitrag von Christoph Appel

Am 18. November 2021 fanden sich die Mitglieder des Graduiertenkollegs virtuell zum ersten Gastvortrag des Wintersemesters 2021/22 zusammen. Mit Professor Daniel Richter, derzeit Vertretungsprofessor für Ur- und Frühgeschichte an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, konnte ein Referent gewonnen werden, dessen Forschung neue Perspektiven auf die inhaltlichen und methodischen Schwerpunkte des GRK liefert. In seinem Vortrag Die zeitliche Einordnung der Entstehung von Homo sapiens in Afrika und dessen Besiedlung Mitteleuropas illustrierte er die grundlegende Relevanz einer naturwissenschaftlich fundierten Datierung bei der Interpretation prähistorischer Fragestellungen und Funde, namentlich der Herausbildung des Homo sapiens (H.s.).

Eingangs gab Daniel Richter einen instruktiven Einblick in die verschiedenen Datierungsmethoden mittels Dosimetrie, d.h. der Quantifizierung ionisierender Strahlung auf geologischen Sedimenten, kulturellen Artefakten oder auch bestimmten organischen Überresten. Da die einzelnen Verfahren auf jeweils unterschiedliche physikalische Eigenschaften der untersuchten Stoffe rekurrieren, weichen auch die durch sie erfassten archäologischen Ereignisse voneinander ab. So kann das Alter erhitzter Gesteine (z.B. Feuersteine) durch Thermolumineszenz-Datierung ermittelt werden. Neben Prozessen der Erhitzung lassen sich auch solche des Absterbens zeitlich eingrenzen, beispielsweise das Alter von Zahnschmelz durch Elektronenspinresonanz.

Im Hauptteil des Vortrages stellte der Referent, in umgekehrter chronologischer Abfolge, drei Beispiele aus der prähistorischen Praxis vor, die zugleich für bedeutende Etappen der Entwicklung des H.s. stehen: Geißenklösterle (Schwäbische Alb) und Brno (Tschechien) als Repräsentanten der archäologischen Kulturen des Aurignaciens bzw. Bohuniciens sowie Jebel Irhoud (Marokko) als Fundstätte der mutmaßlich ältesten Belege des anatomisch modernen Menschen.


Abb. 1: Höhle Geißenklösterle (source).


Abb. 2: Ausgrabungsstätte bei Jebel Irhoud (Marokko) (© Shannon McPherron, MPI EVA Leipzig).

Im Verlauf seiner Ausführungen erläuterte Daniel Richter zunächst die Bedeutung des Geißenklösterle als einer der frühesten Aurignacien-Fundstellen Europas, die auf ein Vorkommen des H.s. vor etwa 40 000 Jahren hindeuteten. Ansätze einer Besiedlung Europas, vermutlich ebenfalls durch H.s., reichten jedoch etwa 48 000 bis 44 000 Jahre (Bohunicien) zurück, müssten jedoch gemäß dosimetrischer Befunde als vorerst gescheitert gelten. Gleichzeitig markierten die Etappen europäischer Präsenz eine Fortsetzung der eigentlichen Anfänge des H.s., die auf einen Zeitraum vor etwa 300 000 Jahren zu datieren seien. Nach einer Darstellung grundlegender phylogenetischer Modelle zur Evolution des modernen Menschen (Out of Africa I/II) arbeitete der Referent, unter Würdigung der Funde in Irhoud und im Vergleich mit weiteren afrikanischen Fossilien, heraus, dass für die Herausbildung des H.s. von einem panafrikanisch-multiregionalen Ursprung in mehreren evolutionären Strängen auszugehen sei. Diese hätten sich parallel fortentwickelt, wobei einzelne Stränge wiederum ausgestorben seien. Von besonderem Interesse war in diesem Zusammenhang die Beobachtung, dass Veränderungen in der Erscheinung des Gesichts vor solchen des Gehirnschädels anzusetzen seien.

Abb. 3: Zwei Ansichten einer zusammengesetzten Rekonstruktion der frühesten bekannten Homo sapiens-Fossilien von Jebel Irhoud (Marokko) basierend auf modernster Computertomografie (micro-CT) mehrerer Originalfossilien (© Philipp Gunz, MPI EVA Leipzig).

Daniel Richters Vortrag führte dem Auditorium die inhaltlich-methodische Breite paläoanthropologischer Forschung vor Augen. Nicht nur, aber zuvorderst für diejenigen Projekte innerhalb des GRK, die sich mit den ältesten fassbaren Ausprägungen menschlicher Kultur beschäftigen, dürfte abermals deutlich geworden sein, dass sich die Entwicklung des H.s. bereits in ihren Anfängen keineswegs als uniform erweist. Vielmehr sind dem Konzept des frühen modernen Menschen von Anbeginn an Komplexität und Vielfalt eingeschrieben – was nicht zuletzt in der Arbeit des GRK widergespiegelt wird.

Weiterführende Meldungen

News Max-Planck-Gesellschaft, Der Homo sapiens ist älter als gedacht. Forscher entdecken in Marokko die bislang ältesten Fossilien unserer Art, 7. Juni 2017.

P. Gunz, Die Ersten unserer Art, Forschungsbericht Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie, 2017.

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