Ein Beitrag von Jessica Knebel.
Die interdisziplinäre Zusammenarbeit ist ein wesentliches Kennzeichen
des Graduiertenkollegs 1876 „Frühe Konzepte von Mensch und Natur“. Um diese zu
fördern, wurde unter anderem die Arbeitsgruppe „Body, Nature, Culture“ von der
Postdoktorandin Dr. Ulrike Steinert ins Leben gerufen. Am 15.10.2020 traf sich
die Arbeitsgruppe zum dritten Mal. Die erste Sitzung, die von Dr. Ulrike
Steinert (Altorientalische Philologie) und David Usieto Cabrera
(Vorderasiatische Archäologie) ausgerichtet wurde, widmete sich Metaphern aus
Mesopotamien, vor allem Metaphern in medizinischen Texten, die in Verbindung
mit dem weiblichen Körper stehen, und Schöpfungs-Metaphern. Thematisch setzten
sich die Teilnehmenden im zweiten Treffen, welches von Judit Garzón Rodríguez
(Ägyptologie) und Dr. Andrea Babbi (Archäologie) geleitet wurde, mit dem
sozialen Körper und der sozialen bzw. ethnischen Identität auseinander. In der
dritten digitalen Sitzung leiteten die Doktoranden Christoph Appel (Klassische
Philologie) und Francisco José Gómez Blanco (Klassische Archäologie) die
Diskussion über Körper und Gewalt in der griechisch-römischen Welt. Diese
Thematik ist eng mit den Dissertationsprojekten der beiden Doktoranden verbunden,
tangiert darüber hinaus aber auch weitere Projekte innerhalb des
Graudiertenkolleg. Zur Vorbereitung auf das Treffen wurde eine Literaturauswahl
zusammengestellt (siehe unten).
Zu Beginn der
Sitzung erörterten die Teilnehmenden, wie Gewalt definiert werden kann. Hierzu
wurde auf die Definition von Pimentel und Nuno Simöes Rodrigues hingewiesen,
die Gewalt als „form of transgression or excess in regard to a norm“ verstehen (Pimentel
– Nuno Simöes Rodrigues 2018, S. 3). Bereits diese Semantik wurde hinterfragt. In
der lebhaften Diskussion regten die Teilnehmenden an, Gewalt als Handlung gegen
den eigenen Willen zu verstehen und zwar in dem Sinne, dass eine andere Person
Kontrolle über den eigenen Körper oder den Geist einnimmt. Nach dieser
Bedeutung rückt die Perspektive desjenigen in den Mittelpunkt, dem die Gewalt
widerfährt. Anschließend verwiesen die Diskussionsteilnehmenden auf die ambivalente
Gestaltung von Gewalt. Einerseits kann sie gefährlich sein, vor allem wenn sie mit
Wut einhergeht, andererseits ist sie auch ein legitimes Mittel, wie im
Kriegswesen. Innerhalb der Sitzung hinterfragten die Diskutierenden auch, ob
Tiere Gewalt ausüben können. In diesem Zusammenhang wurde festgestellt, dass Gewalt
innerhalb einer Gruppe von Tieren als tabu gelte (z. B. ein Wolf tötet einen
anderen Wolf des Rudels), während eine gruppenübergreifende Gewalt häufig als
legitim eingestuft werde (z. B. ein Wolf, der ein Schaf tötet). Ein weiterer
Diskussionspunkt betraf den universalen Charakter von Gewalt und Macht. Da
Macht ein notwendiger Aspekt von Gewalt sei, könne die Relation von Gewalt und
Macht als universal eingestuft werden. Dennoch machten die Teilnehmenden darauf
aufmerksam, dass lokale Spezifika stets zu berücksichtigen seien.
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Abb.
1: Virtuelles Meeting der Arbeitsgruppe
„Body, Nature, Culture“.
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Auch die Frage danach, wie Gewalt in Texten oder anderen Quellen zu
identifizieren sei, stand im Zentrum der Diskussion. Für die
griechisch-römische Welt können Gewalt-Konzepte aus bildlichen und textlichen
Quellen rekonstruiert und anschließend miteinander verglichen werden. Dies ist
jedoch nicht für alle im GRK angesiedelten Dissertationsprojekte der Fall, da einigen
Projekte ausschließlich archäologisches Material zur Verfügung steht. In diesem
Zusammenhang verwiesen die Diskutierenden darauf, dass Gewalt selbst in
Textquellen nicht über ein Wort, sondern aus dem Kontext herauszulesen sei. Dieses
gilt auch für bildliche oder archäologische Quellen. So können etwa durch die
Analyse der überlieferten Quellen Rituale darüber rekonstruiert werden, wie ein
toter Körper in einer Kultur zu einer bestimmten Zeit zu behandeln und zu
bestatten war. Ein Text muss also nicht unbedingt die Gewalthandlung
wiedergeben, sondern nur das Resultat dieser beschreiben, zum Beispiel einen
geschändeten Leichnam (= Resultat). Im Kopf der (antiken) Leserschaft wurde die
Gewandhandlung vermutlich dadurch kreiert, da der Leichnam gegen die geltenden
Regeln behandelt wurde. Hierbei ist zu beachten, dass es sich bei den Quellen
nur um die Repräsentation von Gewalt in Texten, Bildern und archäologischen
Stätten handelt, die von der Perspektive der damaligen Autorenschaft wiedergegeben
wurde. Demnach repräsentieren die Quellen nur Ausschnitte der Realität zu einer
gewissen Zeit. Als weiteres Beispiel wurden christliche Märtyrer aufgeführt
(siehe Cobb 2008). Zwar wurden christliche Märtyrer bis zum Tode gefoltert,
allerdings erfolgte dies freiwillig, da diejenige Person selbst entschieden hatte,
diesen Prozess zu durchlaufen, um dadurch zum Märtyrer zu werden. Durch diese
freiwillige Handlung liege von einem christlichen Standpunkt aus keine widerwillige
Gewalteinnahme über den Körper eines anderen vor.
Die Arbeitsgruppe „Body, Nature, Culture“ ist als offene
Diskussionsplattform angelegt. Bei jedem Treffen sollen zwei bis drei
Teilnehmende in ein für ihre Arbeit relevantes Thema einführen. Zur Diskussion
wählen diese zwei bis drei Teilnehmenden ausgewählte Beiträge von
wissenschaftlicher Relevanz aus. Auch das dritte Treffen der Arbeitsgruppe hat
sich für den interdisziplinären Austausch als fruchtbar erwiesen. In der
anregenden Diskussion wurde nicht nur über Gewalt und den Körper in der
griechisch-römischen Welt gesprochen, sondern die Teilnehmenden erörterten auch
grundsätzliche Fragen zur Gewalt und zogen verschiedene Vergleiche mit weiteren
Kulturen. Zwar konnten nicht alle Aspekte der Thematik ausführlich diskutiert
werden, dennoch besteht die Möglichkeit einzelne Aspekte, wie Gender innerhalb
von Gewalthandlungen, in einem weiteren Treffen der Arbeitsgruppe aufzugreifen.
Die Diskussion bereicherte auf jeden Fall die einzelnen Projekte innerhalb des
Graduiertenkollegs.
Literaturhinweise:
- Stephanie Cobb, Dying to be Men. Gender
and Language in early Christian Martyr Texts. New York, 2008.
- Helen Lovatt, The epic gaze. Vision,
Gender and Narrative in Ancient Epic. Cambridge, 2013.
- Andrew M. McClellan, Abused Bodies in
Roman Epic. Cambridge, 2019.
- María Cristina Pimentel / Nuno Simöes
Rodrigues (Hrsg.), Violence in the ancient and medieval Worlds.
Leuven-Paris-Bristol, 2018.
- Heinrich Popitz, Phenomena of Power.
Authority, Domination, and Violence. New York,
2017.
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