Plenumssitzung 30.6.2016: Gastvortrag von Stephan Ebert (TU Darmstadt): "Mensch und Natur in der Historiographie der Karolingerzeit. Umwelthistorische Zugriffe am Beispiel einer Hungerkrise"

Ein Beitrag von Tristan Schmidt.

In der Plenumssitzung am 30.6.2016 besuchte der Mittelalterhistoriker Stephan Ebert (TU Darmstadt) das Graduiertenkolleg und stellte Aspekte seines derzeit laufenden Dissertationsprojekts zu "Weltbild und Identität: Die Rolle von Naturkatastrophen und ihren Deutungsmustern in der mittelalterlichen Wahrnehmung" (Fn. 1) vor. 
 
Unter dem Titel "Mensch und Natur in der Historiographie der Karolingerzeit. Umwelthistorische Zugriffe am Beispiel einer Hungerkrise" widmete sich der Beitrag dem Umgang der fränkischen Gesellschaft des Frühmittelalters mit Hungerkrisen. In einem einführenden Teil führte Herr Ebert in moderne Forschungskonzepte zum Thema "Hunger" ein. Gerade die Begriffe der "Vulnerabilität" und der "Resilienz" spielen in diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle.

Abb.: Sonnenuntergang. (Quelle: Creative Commons).

Im anschließenden Fallbeispiel ging es um eine Hungersnot, die für das Jahr 779 im fränkischen Reich nachweisbar ist. Die Ergebnisse der Klimaforschung können dabei die zahlreichen Aussagen der erzählenden Quellen zu diesem Ereignis stützen, die von großem Hunger und einer entsprechenden Sterblichkeit berichten. Mit dem sog. Kapitular von Herstal (779) verfügt man über eine Quelle, die über das bloße Konstatieren dieses Ereignisses hinausgeht und Rückschlüsse auf die Bewältigungsstrategien der Gesellschaft zulassen. Bei dem Kapitular handelt es sich um königliche Anweisungen an Laien und Klerus. Man erkennt, dass dem Ereignis auf mehreren Ebenen begegnet werden sollte: So wurden Geistliche wie Laien zu Messen, einem zweitägigen Fasten, Almosen oder einer Notsteuer sowie zur Aufnahme Hilfsbedürftiger aufgefordert.

Dieses Maßnahmenpaket zielte auf eine Art Selbstdisziplinierung zur Besänftigung Gottes und eine intensivere 'spirituelle Kommunikation', gleichzeitig aber auch auf praktische Maßnahmen wie Kalorienreduktion durch Fasten und eine Versorgung Hungernder ab. Gleichzeitig stärkte das Ermahnen von Seiten des Herrschers dessen Position in moralischer Hinsicht.

Diese Maßnahmen, die sich sowohl als Reaktionen auf die Hungerkrise als auch als Präventivmaßnahmen gegen eine Wiederholung einer solchen Katastrophe deuten lassen, vereinen somit Praktiken der transzendentalen Kommunikation, der Fürsorge und – schließlich – den Legitimitätsanspruch des Herrschers. Sie sollten die Resilienz der Gesellschaft im Umgang mit derartigen Krisenerscheinungen gewährleisten. 


Fußnote:
[1] Arbeitstitel.


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