Vortrag von Prof. Dr. Rainer Warland - Einblicke in die Hölle. Höllenstrafen und Sozialkritik byzantinischer Weltgerichtsdarstellungen
Ein Beitrag von Tristan Schmidt.
Am 22. Januar 2015 setzte Prof. Dr. Rainer Warland die Ringvorlesung "Anfang und Ende. Vormoderne Szenarien von
Weltentstehung und Weltuntergang" mit
einem Beitrag zur Bildwelt
byzantinischer Weltgerichtsdarstellungen fort. Herr Prof. Warland lehrt derzeit
als Professor für Christliche Archäologie und Byzantinische Kunstgeschichte an
der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. Seine Forschung bezieht sich vorwiegend
auf Themen der spätantiken sowie der byzantinischen Kunst. Zahlreiche Untersuchungen
zur byzantinischen Zeit konzentrieren sich auf den kappadokischen Raum, wo er
etwa die Wandmalereien dortiger Höhlenkirchen untersucht, die auch im
aktuellen Vortrag eine zentrale Rolle spielten.
Das Drehbuch des Weltgerichts
Prof. Warland ging in seinem Vortrag
der Bildwelt der byzantinischen Weltgerichtsdarstellungen nach. Diese weisen im
mittelalterlichen Westen wie im byzantinischen Osten über die Jahrhunderte
hinweg eine Konstanz in der Nutzung bestimmter Inhalte auf. Während
Darstellungen der Weltentstehung mit dem Text des Buchs Genesis ein klares
Vorbild aufweisen, fehlt den Darstellungen des Weltgerichts hingegen ein
solches einheitliches 'Drehbuch'. Anhand der Bildprogramme lässt sich vielmehr
ein fiktiver Text rekonstruieren, dessen Inhalte verschiedenen biblischen wie
apokryphen Referenzstellen entstammen. An einer entsprechenden Darstellung in der
bekannten Chora-Kirche (Kariye Camii) in Istanbul aus dem 14. Jahrhundert
kann man Entlehnungen aus den Evangelien des Markus und Matthäus, der
Offenbarung sowie dem Buch der Psalmen entdecken. Es tauchen auch Elemente auf,
die in diesen Texten keine Erwähnung finden, wie etwa die Waage des Richters.
Für jedes Verbrechen die passende Strafe
Ein besonderes Merkmal
byzantinischer Weltgerichtsdarstellungen ist die teilweise sehr detaillierte
Darstellung spezifischer Verbrechensarten und deren Bestrafung, die gemäß dem
ius talionis das Vergehen widerspiegelt. Szenen aus der Mavriotissakirche im nordgriechischen Kastoria um ca. 1200 zeigen etwa
einen Wucherer, der von einem Geldsack um den Hals niedergedrückt bzw. erstickt
wird. Derartige Darstellungen sind ab dem Jahr 1200 allgemein gut belegt. Hier
stellt sich die Frage, wie weit diese Darstellungen zurückreichen und wo man
ihre Entstehung verorten kann. Hierzu bietet sich Kappadokien in besonderem Maße
zur Untersuchung an, da dort Höhlenkirchen aus dem 10. Jahrhundert erhalten
sind, die Antworten auf diese Fragen bereithalten können.
Anhand der Wandmalereien zweier
dieser Kirchen zeigte Prof. Warland auf, dass auch dort schon Szenen zu finden sind,
die, ähnlich wie in Kastoria, bestimmte männliche und weibliche Sünder zeigen,
etwa den Trinker, die Gottesleugnerin, die ungehorsame Frau, oder den Mörder, die
in ihren Verbrechen entsprechender Weise bestraft werden. Auch die Waage und ein
dreiköpfiger Höllenhund tauchen auf. Diese kommen in den biblischen Grundlagen
nicht vor, sind allerdings aus ägyptischen und griechisch-antiken Kontexten (Gerichtsszenen;
Unterweltsdarstellungen) bekannt.
Eine interessante Parallele der
Bildmotive sieht Herr Warland in einer Predigt Ephraims von Amida, eines Patriarchen
von Antiochia aus dem 6. Jahrhundert. Bereits dort ist von Elementen die
Rede, die in den späteren Bildkompositionen wieder auftreten. Auch die
individuellen Strafen entsprechend der Vergehen werden thematisiert, wobei die
Auswahl der Sünder in der Predigt der Auswahl in einer der Höhlenkirchen
entspricht. Dies könne als Hinweis dafür dienen, dass die Formierung dieser
Bildsprache bereits in dieser Zeit zu verorten ist.
Was die Art der Strafen angeht,
so stellt man an den teils grotesken Darstellungen eine Überzeichnung fest, wie
sie auch in antiken Komödien zu finden sind, weshalb man eine ähnlich
karikierende Darstellung auch hier vermuten kann. Ein Blick auf eine
karolingische Unterweltsdarstellung, die Visio Wettini von Walahfrid Strabo,
sowie eine Unterweltsdarstellungen aus einer Aeneishandschrift (Vergilius
Vaticanus) um das Jahr 400 zeigen ähnliche Verbrechensarten und deren
Bestrafung, wie sie in den byzantinischen Weltgerichtsdarstellungen zu finden
sind.
Gegenbilder im Funeralkontext
All das führt Prof. Warland zu der
Vermutung, dass die gezeigten Höllenstrafen sich im 6. Jahrhundert
ausformten und selbst auf antike Unterweltsdarstellungen zurückgreifen. Dies
sei auch ein Argument gegen die bisher postulierte Entwicklung der Vorstellung
eines universellen Gerichts hin zu einem individuellen Gericht im Laufe des
Mittelalters. Vielmehr seien individuelle Strafen bereits von Anfang an in den
Bildern sichtbar.
Abschließend stand die Frage nach
dem Zweck der teils stark überzeichneten Höllenstrafen. Erkennbar ist eine enge
Verbindung zum Funeralkontext: Alle gezeigten Kirchen, die diese Bildzusammenstellungen
aufweisen, sind Grabkirchen. Die Szenen wurden demnach von den Besitzern der
Grabstätten in Auftrag gegeben. Prof. Warland vermutet, dass diese drastischen
Darstellungen, neben der Funktion der Ermahnung, als Gegenbilder zu verstehen
sind, die gegenüber Gott einen Zustand aufzeigen sollten, dem die Verstorbenen
in jedem Fall entgehen wollten.
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