Dissertationsprojekt von Sonja Gerke: "Untersuchungen zur altägyptischen 'Zoologie'" oder "Das altägyptische Wissen vom Tier"

Ein Beitrag von Simone Gerhards.

Tiere sind in nahezu allen Lebensbereichen der altägyptischen Kultur präsent, was besonders bei den bildlichen Darstellungen mit einer immensen Detailgenauigkeit einhergeht. Diese lässt sich nur durch eine dezidierte Auseinandersetzung mit dem Tierreich erklären. Doch ist es tatsächlich möglich und sinnvoll, hierbei von einer altägyptischen "Zoologie" zu sprechen?


Moderne versus Altertum?


Ein Problem bei der Auseinandersetzung mit antiken Kulturen stellt in vielerlei Hinsicht die Übertragung von modernen Begrifflichkeiten auf altes Gedankengut dar.

Bei der Untersuchung der altägyptischen "Zoologie" ist also die Frage zu stellen, ob sich dieser moderne Wissenschaftsbegriff tatsächlich mit den altägyptischen Vorstellungen und Vorgehensweisen in Verbindung bringen lässt. Dies führt Sonja Gerke zu einer Frage nach der Existenz von altägyptischer "Wissenschaft" im Allgemeinen.

Altägyptische "Wissenschaftler"?


Zwar lassen sich in der altägyptischen Geschichte eine Handvoll Persönlichkeiten fassen, die sich bei genauerer Betrachtung durchaus mit unseren heutigen "Wissenschaftlern" vergleichen lassen – wie z. B. Imhotep, der Baumeister der Stufenpyramide von Saqqara oder dem selbstbezeugten "Künstler" Irtisen aus dem Mittleren Reich – doch sind ihre "Schaffensgebiete" in den meisten Fällen nach modernen Ansichten eher im handwerklich/künstlerischen Bereich anzusiedeln und würden sich nur schwerlich mit modernen wissenschaftlichen Disziplinen vereinbaren lassen. Dennoch scheint anhand der jeweiligen Gesellschaften gemessen bspw. die rezente Entdeckung des sogenannten Higgs-Teilchens mit der damaligen "Erfindung mit behauenen Steinen zu bauen" durchaus vergleichbar zu sein.

Wissenschaftsbegriff versus Wissensbegriff


Sonja Gerke spricht sich dennoch gegen eine Verwendung des Wissenschaftsbegriffes innerhalb ihrer Arbeit im Hinblick auf das alte Ägypten aus. Im altägyptischen Eigenverständnis als auch im altägyptischen Sprachgebrauch fehlen dezidierte Vokabeln, die sich eins zu eins mit den heutigen Begriffen für "Wissenschaft" oder einzelnen Disziplinen wie z. B. der "Zoologie" vergleichen lassen. Sie sind demnach "künstlich" geschaffen und gegeneinander abgegrenzt.

Dagegen existieren jedoch Begrifflichkeiten, die die Verwendung eines "Wissensbegriffs", der sich vor allem über das Verb rh "kennen, wissen" und ihm verwandte Wörter bilden lässt, nahelegen. Hier wird allenfalls die große Vielfalt der mit diesem Begriff verbundenen Bereiche – zumindest aus heutiger Sicht – problematisch, da hier sowohl magisch-mythologisches als auch realweltlich-praktisches Wissen beschrieben wird, was aber im altägyptischen Eigenverständnis nicht zwingend voneinander getrennt werden muss und wohl auch erst gar nicht getrennt werden sollte.

Die Quellen zum altägyptischen Wissen vom Tier


Für das Wissen vom Tier stehen in Ägypten ganz unterschiedliche Quellenarten zur Verfügung, die von Sonja Gerke zunächst in "direkte" und "indirekte Quellen" unterteilt werden. Die direkten Quellen zeichnen sich dadurch aus, dass durch sie ein bestimmtes Wissen vermitteln werden soll, wie z. B. Onomastika (Wortlisten) oder ausführlichere Texte wie der sog. Brooklyner Schlangenpapyrus (pBrooklyn 47.218.48+85). Bei den indirekten Quellen handelt es sich um Zeugnisse, denen ein bestimmtes Wissen um Tiere zugrunde liegt und das sich daraus ableiten lässt, wie z. B. aus den detailgenauen Abbildungen von Fischen und anderen Tieren in den Szenen der Grabikonografie des Alten Reiches.

Fallbeispiel: Die altägyptischen Hirten und ihr Wissen vom Tier


Wie die "indirekten Quellen" ausgewertet werden können, lässt sich anhand des Beispiels der Personengruppe der Hirten verdeutlichen: Anhand der Darstellungen von Hirten und ihren Rindern in verschiedenen Szenen der Grabikonografie des Alten Reiches offenbart sich ein bestimmtes Wissen, das diese Menschen von ihren Tieren besaßen. So lassen sich bspw. die genaue Kenntnis des natürlichen Verhaltens der Tiere, aber auch veterinärmedizinische Kenntnisse erschließen. Es wird aber auch offensichtlich, dass zum altägyptischen "Wissen vom Tier" auch die Kenntnis von "magischen" Sprüchen und Gesten gehörte, die bspw. für den Schutz der Herde eingesetzt wurden.

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