Panel 3: “Cognitive Linguistics and Philology”

Ein Beitrag von Mirna Kjorveziroska.



Das dritte Panel des internationalen Workshops, organisiert von den Doktorandinnen Shahrzad Irannejad, Mirna Kjorveziroska, Marie-Charlotte von Lehsten und Oxana Polozhentseva mit Unterstützung durch PD Dr. Annemarie Ambühl und Prof. Tanja Pommerening, beschäftigte sich mit der Anwendung der Kognitionswissenschaft auf sprachliche Fragestellungen. Da dieser methodische Transfer an sich unter dem Rubrum der Kognitiven Linguistik bereits erprobt wurde und nunmehr gut etabliert ist, allerdings in erster Linie spezialisiert auf moderne Sprachsysteme unter dem Signum der Synchronie, bestand das Novum in der Eröffnung einer diachronen Perspektive: Im Zentrum des Interesses stand die Operationalisierbarkeit der Kognitionswissenschaft für vormoderne Sprachen bzw. ältere Sprachstufen. Prospektiv sollten daraus Impulse für eine weitere Transferleistung gewonnen werden – neben dem interdisziplinären Transfer (Psychologie‒Sprachwissenschaft) wurde auch ein intradisziplinärer Transfer angestrebt, indem der Fokus von der bisher favorisierten Wortebene auf Satz-, Text- oder Diskursebene verlagert wird. Es galt, linguistische und philologische Initialstimuli für die Überlegungen zu bekommen, inwieweit das kognitionswissenschaftliche Instrumentarium auch für die Analyse größerer sprachlicher Einheiten, in letzter Konsequenz fiktionaler Erzähltexte, fruchtbar gemacht werden kann.
 
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Sturm und Zorn: Sprache als Schattentheater kognitiver Strukturen



Dr. Ines Köhler (Ägyptologie, Berlin/Leipzig) widmete ihren Vortrag ("Let the Sky Fall. How Landscape and Nature Shape Ancient Egyptian Thinking") der illustrativen Konkretisierung der prominenten abstrakten These, dass die Sprache im kognitiven System fest verankert ist bzw. einen integralen Teil des kognitiven Systems darstellt. Die Sprache wurde als sichtbares Symptom zur Diagnostik von unsichtbaren altägyptischen Denkmustern betrachtet, wobei vor allem Präpositionen als Kondensate solcher zu rekonstruierenden Konzeptualisierungsmuster fungierten: Während der Ausdruck ,im Regen‘ eine Konzeptualisierung des Regens als Container verrät, signalisiert sein in einigen Sprachen übliches Pendant ,unter dem Regen‘ eine Konzeptualisierung des Regens als Dach über unserem Kopf. Aber auch metaphorische Annäherungen von Sturm und Zorn indizieren die Berührungen der entsprechenden Konzepte im kognitiven System: Beides wird als eine Schrecken einjagende, bedrohliche, schwer zu kontrollierende Gewalt aufgefasst. Eine äußerliche Bewegung im Naturraum wird also mit einer inneren Bewegung im Emotionsraum parallelisiert.




Maskulina, Feminina und die Ordnung der Welt: Das grammatische Geschlecht als Chiffre des Denkens



Prof. Anthony Corbeill (Latinistik, University of Virginia) untersuchte in seinem als "Übung im linguistischen Determinismus" kategorisierten Vortrag ("Perceiving the Roman World through Latin Grammatical Gender") den Einfluss des lateinischen grammatischen Geschlechts auf die Weltwahrnehmung der Römer. Unter der Prämisse, dass das Genus nicht nur eine formale morphologische Kategorie darstellt, sondern auch mit semantischer Energie aufgeladen ist und daher Bedeutungen generieren und freisetzen kann, kreiste der Vortrag eben um die Frage, wie das grammatische Geschlecht das Denken über die Welt zu infizieren und die einzelnen Sinnstiftungsakte in Bezug auf die menschliche Umgebung vor- und mitzuformen vermag. Ausgangspunkt war ein großes, altes Fragezeichen der Indogermanistik, die sich in ihrem komparatistischen Zugriff mit der Variabilität des Genus in miteinander verwandten Einzelsprachen konfrontiert sah, dass beispielsweise ,Baum‘ maskulin, arbor aber feminin ist, obwohl der deutsche und der lateinische Signifikant einen identischen Referenzbereich in der empirischen Wirklichkeit haben. Anhand einer Synopse von Äußerungen aus der lateinischen Tradition bis hin zu Jacob Grimms Überlegungen in der Deutschen Grammatik wurde der theoretische Diskurs über die Genus-Problematik diachron nachgezeichnet, während konkrete Beispiele aus der lateinischen Dichtung aufzeigten, dass die Dichter selbst – namentlich Vergil – für die weitreichenden Implikationen des grammatischen Geschlechts ebenfalls sensibilisiert waren und dieses grammatische Phänomen literarisch ausbeuteten. Ein Seitenblick auf empirische Studien über Genuszuordnungen als kognitive Vorgaben in modernen Sprachen komplettierte diese Apotheose des Genus, das vor diesem Hintergrund seine grammatische Sterilität abwarf: Indem die Maskulina und Feminina mit ihrem physischen Geschlecht korreliert werden, profilieren sie sich zum substantiellen Kriterium für die Ordnung der Welt, die in männliche und weibliche, aktive und passive Kategorien zerlegt und somit ihres Status eines undurchschaubaren Monoliths beraubt wird.


Prof. Anthony Corbeill bei seinem Vortrag "Perceiving the Roman World through Latin Grammatical Gender" (Foto: Sandra Hofert).


Die Saga eines Liquids: Wor(l)d ‒ Wort und Welt


John R. Taylors (Linguistik, University of Otago) Vortrag "Words and the World" widmete sich den Mechanismen der sprachlichen Referenz, dem Verhältnis zwischen Sprache und Welt, prägnant eingefasst in die englische Assonanz der Relationsglieder word und world, wobei der minimale lautliche Unterschied, kondensiert in einem einzigen Liquid, in einer Disproportion mit der maximalen Komplexität ihrer Interaktion steht. Diese Überlegungen sind unter das Hyperonym der Bedeutungsforschung zu subsumieren, die der Bedeutung eines Wortes als einer sinnlich nicht greifbaren Größe entweder intrasprachlich, durch Erforschung der syntagmatischen und paradigmatischen Relation des interessierenden Wortes zu anderen Wörtern innerhalb derselben Sprache, oder durch Transgression des rein sprachlichen Skopus, unter Berücksichtigung der mit den konkreten Wörtern bezeichneten außersprachlichen Gegenstände und Zustände, näherzukommen versucht. Letzteres, legitimiert durch eine Autorität des britischen Empirismus, John Locke, dem zufolge die Bedeutung einiger Wörter, die für physische Qualitäten wie ,heiß‘, ,schwer‘, oder ,scharf‘ stehen, ausschließlich auf der Grundlage körperlicher Erfahrung zu erschließen ist, findet eine große Anwendung unter anderem als Explikationswerkzeug innerhalb der modernen Übersetzungstheorie, die das bidirektionale Potential der binären Chiffre ,Wort‒Welt‘ exponiert: Ein Wort der Ausgangssprache generiert ein mentales Bild beim Übersetzer (word-to-world), das dann seinerseits mit einem Wort der Zielsprache ausgedrückt wird (world-to-word). Zu bedenken ist jedoch, dass die Wörter nicht nur isolierte Einzeldinge benennen, sondern dass die referentialisierte Welt feststehenden Skripts, Szenarien oder Handlungssequenzen unterworfen ist und somit einen prozessualen Charakter hat. Zudem ist der Polyvalenz der Wörter Rechnung zu tragen bzw. der Tatsache, dass die Relation zwischen Wort und Welt keine monogame ist: Zur Füllung onomasiologischer Lücken in einer Weltdomäne werden gelegentlich Wörter in Anspruch genommen, die mit einer anderen Weltdomäne bereits in Beziehung stehen. 


Die Weinpresse im Gehirn: Griechisch-arabischer Übersetzungsrausch


Entsprechend der organisatorischen Maxime, einen möglichst engen Bezug der Diskussion zu den einzelnen Promotionsprojekten des Graduiertenkollegs sicherzustellen und von der Expertise der eingeladenen Teilnehmer im Hinblick auf konkrete Aspekte des eigenen Forschungsthemas zu profitieren, hat Doktorandin Shahrzad Irannejad (Mainz, Medizingeschichte) innerhalb des Textpanels ein kurzes Fallbeispiel präsentiert und die Anwesenden geradezu durch ein Schlüsselloch in ihre Dissertation ("Localization of the Avicennean inner senses in a Hippocratic body") hineinblicken lassen. Thematisiert wurde die vormoderne Benennung einer anatomischen Struktur, Torcular herophili. Während Galen sich für die terminologische Lösung ληνός (lēnos, ,Weinpresse‘) entscheidet und somit ein Instrument zur Traubenverarbeitung, also ein Wort aus dem Register der Kulturtechniken in der vegetabilen Natur als Bild zur Referentialisierung eines neurologischen Bestandteils des menschlichen Körpers mobilisiert, gibt im 9. Jahrhundert der arabische Übersetzer Hunyan Galens ληνός mit al-miʿṣara wieder. Dabei handelt es sich beim arabischen terminus technicus möglicherweise um ein mechanisches Konstrukt, um eine ad-hoc-Bildung vom arabischen Verb für ,pressen‘, da die Weinpresse als Gegenstand der empirischen Wirklichkeit dem Übersetzer möglicherweise nicht bekannt war, sondern lediglich die morphologischen Regularien für ihre substantivische Derivation im arabischen Sprachkosmos. Daran lässt sich zum einen die Arbeit am anatomischen Fachvokabular beobachten, zum anderen aber auch die Abkoppelung einer sprachlichen Entität von ihrer nicht existenten kognitiven Grundlage.

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