Das Tier in der Rechtsgeschichte ‒ Tagung der Forschungsstelle Deutsches Rechtswörterbuch (DRW) vom 2. bis 4. April 2014, Heidelberg, Akademie der Wissenschaften
"Tierische" Rechtsfragen: alte Thematik mit aktuellen Bezügen
Die Beziehung zwischen Mensch und Tier gestaltete sich in älteren Zeiten weitaus intensiver als in der Moderne, was vor allem auf den hohen Stellenwert des Tieres als Nahrungslieferant und Arbeitskraft zurückzuführen ist, der heute oftmals durch Technik und Globalisierung in den Hintergrund getreten ist. Erhaltene Rechtsquellen aus Mittelalter und früher Neuzeit spiegeln diesen hohen Stellenwert der Tiere wider, da sie sich in zahlreichen Fällen mit den Belangen der Tierhaltung und der Tierhalter, der von Tieren finanziell oder physisch Geschädigten oder mit der Stellung des Tieres im Allgemeinen beschäftigen.
Die
interdisziplinäre Tagung des Deutschen Rechtswörterbuchs, die vom 2. bis 4. April 2014 in den Räumen der
Heidelberger Akademie der Wissenschaften stattfand, zeigte sehr deutlich, dass
viele der "alten" Gesetze, Anspielungen, Darstellungs- oder Sichtweisen bis
heute ausstrahlen und sich in dieser Hinsicht zahlreiche Verbindungen zwischen
Mittelalter und Moderne aufzeigen lassen.
Eine interdisziplinäre Annäherung
Der erste Themenblock am Mittwochmorgen widmete sich nach einer kurzen Einführung seitens der Tagungsleiter Prof. Dr. phil. Peter König und Dr. iur. Andreas Deutsch einem interdisziplinären Blick auf den Umgang mit Tieren. So gab zunächst Prof. Dr. med. Wolfgang U. Eckart (Heidelberg) einen Überblick über die "philosophisch-kulturgeschichtlichen Aspekte der Tier-Mensch-Beziehung", der von René Descartes (1595-1650) ‒ der dem Tier eine "Seelenlosigkeit" und die bloße "maschinelle Nachahmung von Empfindungen" unterstellte ‒ über die Tierethik Arthur Schopenhauers (1788-1860) ‒ der das Tier nicht als bloße "Sache" ansah, sondern durchaus als lebendiges, fühlendes Lebewesen ‒ bis hin zu Friedrich Nietzsche (1844-1900) ‒ der umgekehrt die Sicht des Tieres auf den Menschen vorstellte ‒ reichte. Darauf folgte der Vortrag von Frau Prof. Dr. phil. Anja Lobenstein-Reichmann (Göttingen/Prag), die u.a. anhand einer Szene aus Shakespeares "Kaufmann von Venedig", in der Shylock von Graziano als "unbarmherzger Hund" und sein Begehren u.a. als "wölfisch" (Vierter Aufzug, Erste Szene) beschrieben wird, sehr anschaulich die Bedeutung und Anwendungen von Tier-Metaphern und der Interpretation ihrer Aussagen aufzeigte. Den dritten Beitrag dieser ersten Sektion stellte Prof. Dr. iur. Drs. h.c. Friedrich Christian Schroeder (Regensburg) über die Geschichte der Strafbarkeit der Tierquälerei, wobei besonders der Unterschied zwischen dem Schutz des Tieres als für den Menschen ökonomisch wichtiges Arbeitstier ‒ wie bspw. bereits im Codex Hammurapi im 18. Jh. v. Chr. vermerkt ‒ oder dem Schutz des Tieres um seiner selbst willen ‒ so erst im 18. Jh. n. Chr. in den Gesetzen anzutreffen ‒ betont wurde.
Tiere in ausgewählten Rechtsquellen
In der zweiten Sektion wurde die Rolle des Tieres innerhalb dreier einzelner Rechtsquellen vorgestellt: Dr. phil. Hans Höfinghoff (Enneptal) zeigte für die frühmittelalterlichen Leges v.a. am Beispiel der Lex Salica (Entstehungszeit: Chlodwig I., Handschrift: 8. Jh.), wie die Tierbezeichnungen der lateinischen Rechtstexte (für z.B. Ferkel, Hunde etc.) durch volkssprachige ("germanische") Einschübe, wie etwa die sog. "Malbergischen Glossen", für die lateinunkundige Landbevölkerung für die gerichtliche Auseinandersetzung verständlich gemacht wurden., während Frau Dr. iur. Dietlunde Munzel-Everling (Wiesbaden) die bildlichen Darstellungen im sog. "Sachsenspiegel" (13. Jh.), die zur Veranschaulichung von "tierischen" Rechtsangelegenheiten, wie z.B. Tierhalterhaftung, Jagdrecht, Eigentumsfragen oder Haltungsvorschriften dienten, vorstellte. Prof. Dr. phil. Michael Prosser-Schell (Freiburg) gab abschließend einen Einblick in die mittelalterliche Rechtsquellengattung der "Weistümer", auch "Offnungen" genannt [Fn. 1], in denen so "kurios" anmutende Gebräuche wie bspw. der "Hühnerweitwurf" zur Festlegung einer Grundstücks- bzw. Gehegegrenze genannt werden.
Tiere im Zivil-, Straf- und öffentlichen Recht
Am zweiten Tag der Konferenz wurde das Tier in unterschiedlichen Rechtsfragen beleuchtet: Prof. Dr. iur. Dr. h.c. mult. Andreas Wacke (Köln) widmete sich der Frage nach einer eventuellen Möglichkeit zur rechtlichen Belangung eines Halters eines randalierenden Vogel Strauß in den römischen Quellen, Prof. DDr. Martin P. Schennach (Innsbruck) informierte über rechtliche Grundlagen zu Jagdrecht und Wilderei in der frühen Neuzeit und den damit einhergehenden Vorstellungen von Stand- und Ordnungsprinzipien und Prof. Dr. iur. Hans-Georg Hermann (München) stellte anhand von historischem Prozess- und Gesetzesmaterial die Vielfalt des Almrechts vor; hierbei geht es nicht nur darum, zu welchen Zeiten welche Tiere auf welche Alm getrieben werden durften und wann nicht, um Krankheit der Tiere oder Überbelegung bzw. -belastung der Weiden zu vermeiden; es gab für alpine Viehherden beispielsweise auch ein Recht zur "Schneeflucht" und zur "Kriegsflucht" auf fremde Grundstücke – in gewisser Weise ein "Asylrecht" bei schwerwiegendem Schlechtwettereinbruch oder Kriegsgefahr. Prof. Dr. phil. Kurt Andermann (Freiburg) wies mit seinem Vortrag "Das Huhn im Recht" anschaulich auf die außergewöhnliche Rolle dieses Tieres hin, das in den Rechtsquellen u.a. durch seine Funktion als steuerliche Abgabe (bspw. als Rekognitionszinsmittel) das am häufigsten genannte Tier darstellt, in der Forschung jedoch bislang kaum Beachtung erfahren hat.
Nach
der Mittagspause wurden die etwas "delikateren" Fälle diskutiert: Prof. Dr.
iur. Stephan Meder (Hannover) sprach
über das Hängen mit Wölfen oder Hunden, eine besonders grausame und schändliche
Art der Hinrichtung, bei der Mensch und Tier nebeneinander an den Füßen
aufgehängt wurden, was noch bis ins 17. Jh. praktiziert wurde. Danach führte
Prof. Dr. phil. Peter Dinzelbacher (Wien)
in die gerichtliche Welt der Tierprozesse und Tierstrafen ein, wobei betont
wurde, dass unbedingt zwischen den beiden Begriffen unterschieden werden müsse
und weiterhin ein deutlicher Unterschied zwischen Prozessen vor einem
weltlichen und solchen vor einem geistlichen Gericht bestehe: Vor einem
weltlichen Gericht wurden bspw. Schweine verurteilt, die ein Kleinkind aus der
Wiege gestohlen bzw. verletzt oder gefressen hatten, wobei die Tiere dazu mit
menschlichen Kleidern ausgestattet wurden. Vor einem geistlichen Gericht wurden
vor allem Prozesse gegen in Massen auftretende Schädlinge wie Heuschrecken oder
Engerlinge geführt, die dann von einem Kirchenvertreter exorziert oder sogar
exkommuniziert werden konnten. Prof. Dr. phil. Francisca
Loetz (Zürich) stellte daraufhin einen Fall von Sodomie (in diesem Fall
als "Bestialität" bezeichnet) anhand einer Prozessakte Anfang des 18. Jhs. vor
und ging dabei vor allem auf den Umgang mit der "betroffenen" Kuh ein. Den letzten
Vortrag des Nachmittags hielt Prof. Dr. iur. Wolfgang
Schild (Bielefeld), der die unterschiedlichen tierischen Erscheinungs-
und Verwandlungsformen des Teufels, von Teufelsdämonen und Hexenleuten wie z.B.
Kröte, Kater, Bock und Wolf behandelte.
Zum Abschluss des Tages führte Dr. iur. Andreas Deutsch eine recht große Gruppe
von interessierten Tagungsteilnehmern durch die Heidelberger Altstadt, wobei
natürlich das Augenmerk auf dem "Tier in der Stadt" lag. Dabei konnte er mit
Anekdoten und Ereignisgeschichte wie z.B. zum Herkulesbrunnen, Haus zum Ritter
oder Brückenaffen aber auch durch Klärung alter Gassen- und Straßennamen und
somit der mittelalterlichen Topografie der Stadt auch die alteingesessenen
Heidelberger beeindrucken, die nun sicherlich mit anderen Augen durch ihre
Altstadt laufen werden.
Tiere und Recht in Sprache und Kunst
Der dritte Tag wurde von Prof. Dr. phil. Georg Scheibelreiter (Wien) eingeleitet, der über die Tiersymbolik in der Heraldik sprach, in der vor allem die Krafttiere der heimischen Wälder wie Bär, Löwe und Eber dominierten. Daraufhin widmete sich Prof. Dr. phil. Johannes Tripps (Leipzig) den Tierdarstellungen in rechtlichen Kontexten und Prof. Dr. theol. Martin Jung (Osnabrück) beschäftigte sich mit dem "Umgang mit Tieren als Thema der frühneuzeitlichen protestantischen Theologie". Schließlich beleuchtete Dr. phil. Jana Jürgs (Bremen) die Welt des Reineke Fuchs im "frühneuzeitlichen Diskurs um Recht und Gerechtigkeit" und nach der Mittagspause wurde mit Prof. Dr. phil. Ulrich Kronauer (Karlsruhe) der Blick auf das Tier in der Rechtsgeschichte über die Landesgrenzen hinaus nach Frankreich erweitert und die Tagung mit einer ausführlichen Schlussdiskussion, die viele Fragen noch einmal aufgriff abgeschlossen.
Fußnote:
[1] Hiermit werden spezielle Schriftquellen bezeichnet, die besondere Wichtigkeit
für die illiterate und analphabetische ländliche Bevölkerung innehatten, da
hier das "gewohnte" Recht erstmals aufgezeichnet und bei Bedarf vorgelesen
werden konnte.
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