Wanderung durch die vermeintliche Einsamkeit – die Wüste in der Ausstellung „BeZAUBERnde ORTE“

 Ein Beitrag von Benny Waszk

Abb. 1 Bizarre Landschaften: Wadi Rum in Jordanien. (Foto: Benny Waszk)

Wüsten üben seit jeher eine Faszination auf den Menschen aus, denn diese Landschaften sprechen auf eine einzigartige Art und Weise sämtliche Sinne des Besuchers an. Blickt man sich im Sandmeer um, verliert man schnell die Orientierung. Es gibt wenige markante Punkte, welche es dem erfahrenden Wanderer erlauben würden, auf Kurs zu bleiben. Wohin man auch blickt, breitet sich eine endlose Weite aus. Hinzu kommt, dass die Umgebung schnell und sichtbar durch die Elemente überprägt wird. Wind und Wetter formen permanent die Topographie und Oberfläche neu. Fußabdrücke im Sand verwehen schnell. Der Wind schiebt zum Teil meterhohe Dünen vor sich her, so dass ein und derselbe Ort nach wenigen Tagen seine Erscheinung komplett verändern kann. Felsformationen werden durch den sporadischen Regen und heißen Wind in beinahe organische Formen geschliffen (Abb. 1). Aufeinander reibende Sandkörner erzeugen mitunter geheimnisvoll brummende oder knarrende Geräusche, auch „singende Sanddünen“ genannt.  Hinzu kommen die heißen Temperaturen, die nachts auf den Gefrierpunkt fallen und die wahrgenommene Lebensfeindlichkeit der Wüste unterstreichen. 

Doch bei genauem Hinsehen und Hinhören ist die Wüste kein einsamer, toter Ort. Ihre tierischen Bewohner – obwohl selten gesehen – hinterlassen Spuren im Sand; in den Abendstunden kann das Zirpen von Insekten vernommen werden. Aufgrund ihrer Eigenschaften verwundert es nicht, dass Wüsten bereits im Altertum religiös und symbolisch aufgeladene Orte darstellen. Sie gelten häufig als Wohnstätte von Geistern und Dämonen und werden als eine ambivalente Anders-Welt, als ein Ort des Übergangs ins Jenseits und als Verbannungsort wahrgenommen. Manche dieser Aspekte haben sich bis heute in Form von Metaphern in unserem Sprachgebrauch erhalten: Wenn wir jemanden zum Beispiel „in die Wüste schicken“, weisen wir ihn ab und verbannen ihn aus unserem Leben.

So bildet die Wüste – nach Wald und Wasser – den dritten Thementeil der Ausstellung „BeZAUBERnde ORTE“, welche das GRK 1876 im Juni und Juli 2022 in der „Schule des Sehens“ an der JGU Mainz zeigt. Die Themeninsel stellt anhand von ausgewählten Texten und Artefakten dar, welche Bedeutungen die Wüste in den Kulturen des Vorderen Orients, Ägyptens und des mediterranen Raums innehatte und zum Teil noch heute innehat. Station I der Themeninsel ist den Emotionen und Wertigkeiten gewidmet, welche die Wüste mit ihrem zwiespältigen Charakter hervorruft. Dazu gehört zum Beispiel der Kontrast zwischen wahrgenommener Leere und komplexer Tier- und Pflanzenwelt. Auf der einen Seite handelt es sich um eine „trostlose Einöde“, welche Gefühle wie Einsamkeit und Verlassenheit auslöst. Auf der anderen Seite war beispielsweise die in der Wüste lebende Gazelle das wichtigste Beutetier für steinzeitliche Jäger und Sammler der Region; und der bis heute ikonischste Wüstenbewohner – das Kamel oder Dromedar – spielte und spielt eine Schlüsselrolle in der nomadischen Wirtschaftsweise, was sich auch in der materiellen Kultur widerspiegelt (Abb. 2).

Abb. 2 Keramikgefäß in Form eines Dromedars. Ägypten, ca. 3000-2700 v. Chr. (© Foto: Ägyptisches Museum und Papyrussammlung der Staatlichen Museen zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz;Fotograf/in: Sandra Steiß; Lizenz: Creative Commons)

Giftige Wüstenschlangen, welche zu spät entdeckt den sicheren und qualvollen Tod bringen, regten die Fantasie an und werden schon vom römischen Dichter Lucan (1. Jh.) beschrieben. Einen ersten Einblick in das Grauen, welches die Wüste birgt, bildet an dieser Stelle die Leihgabe eines speziell für die Ausstellung entworfenen Basilisken aus dem Museumskabinett „Dr. Wolfs Wunderkammer“. Dieses mythologische Schlangenwesen – auch als König der Schlangen bezeichnet – schickt laut antiker Autoren wie Plinius und Lucan sein Opfer allein durch seinen Blick oder Atem in den Tod und braucht „zum Vernichtungswerk kein Gift“ (Lucan, Pharsalia IX, V.700-732).

Station II widmet sich der Bedeutung der Wüste als Kontrastort und als Heimstätte übermenschlicher Wesen. In den antiken Kulturen Mesopotamiens und Ägyptens steht die Wüste als Wildnis im Gegensatz zur zivilisierten Welt der Siedlungen; sie gilt als Ort der Toten, der im Kontrast zur Welt der Lebenden und zu den fruchtbaren Flusstälern steht. Dies zeigt sich eindrücklich an den altägyptischen Nekropolen wie Dahschur und Gizeh oder dem weltberühmten Tal der Könige. Der ägyptische Totengott Anubis wird mit der Wüste assoziiert und hat mit dem Erscheinungsbild eines Schakals auch die Gestalt eines Wüstentiers. In den vereinzelt in der Wüste wachsenden Tamarisken lebt nach Vorstellung der alten Ägypter die Seele des Gottes Osiris, welcher das Jenseits und die Wiedergeburt repräsentiert. Unter den ägyptischen Gottheiten sticht zudem Seth heraus, der die Ambivalenz der Wüste repräsentiert. Dieser Wüstengott in Gestalt eines Mischwesens wurde mit dem bedrohlichen Chaos in Verbindung gebracht; zugleich verteidigte er den Sonnengott Ra bei seiner nächtlichen Reise durch die Unterwelt gegen andere Chaosmächte.

Abb. 3 La tentación de San Antonio. Gemälde von Salvator Rosa, 1645 (Bild: https://historia-arte.com/obras/tentaciones-san-antonio-rosa; Lizenz: Creative Commons)

Daneben gelten Wüsten in vielen Kulturen und Epochen als Wohnort von Dämonen und Geistern. Beispielsweise in der christlichen Überlieferung werden fromme Einsiedler wie der Heilige Antonius während ihres selbstauferlegten Exils in der Wüste von furchterregenden Dämonen oder vom Teufel selbst heimgesucht (Abb. 3). Dem altmesopotamischen Winddämon Pazuzu mit seiner Mischwesengestalt wurde in moderner Zeit durch den Film „Der Exorzist“ (1973) sogar ein popkulturelles Denkmal gesetzt. Und die aus heißem Wüstenwind erschaffenen Dschinn, deren Gärten und Wohnstätten im Volksislam durch einsame Wüstenbäume und Felsformationen markiert werden, sind durch die Erzählungen von „Tausendundeiner Nacht“ auch in der westlichen Welt wohlbekannt.

Abb. 4 Detailaufnahme vom Göbekli Tepe (ca. 9600-8800 v. Chr.). Zu sehen sind ein Fuchs, ein Keiler und drei kranichartige Vögel. (Foto source; Lizenz: Creative Commons)

Dass die Wüste auch als Ort der Selbstfindung und Transformation wahrgenommen und vielfach für religiöse und rituelle Handlungen genutzt wurde, zeigt die dritte Station unserer Wüstenwanderung. So ist beispielsweise das Wort Eremit „Einsiedler“ abgeleitet vom altgriechischen érēmos (ἔρημος), was „Wüste“ bedeutet. Dass die Wüste mit ihren Wildtieren einen Einfluss auf religiöse Vorstellungen und Handlungen der Menschen hatte, ist bereits durch den in Südostanatolien gelegenen jungsteinzeitlichen Fundplatz Göbekli Tepe belegt. Dort errichteten als Jäger und Sammler lebende Gruppen die ältesten Monumentalbauten der Menschheit, die mit aufwendigen Darstellungen wilder Tiere verziert sind und als Versammlungs- und Ritualplätze dienten (Abb. 4).

Während hier noch die Jagd den religiösen Alltag bestimmte, kommen in den späteren altorientalischen Kulturen andere mit der Wüste verbundenen Aspekte in rituellen Handlungen zum Tragen. Ein aus Mesopotamien und dem Alten Testament bekanntes Motiv ist beispielsweise der „Sündenbock“. Dieses Tier nimmt im Zuge eines Reinigungsrituals die Sünden der Gemeinschaft auf sich und wird im Anschluss daran geopfert oder in die Wüste gejagt.

Abb. 5: Rollsiegelmotiv eines Heilungsrituals in einer Steppenhütte (Mesopotamien, ca. 900-612 v. Chr.). (Zeichnung: Y. Lindner)

Assyrische Darstellungen von Heilungsritualen in einer Steppenhütte (Abb. 5) legen die religiöse Bedeutung der Wüste als Ort der Isolation nahe – ein Konzept, das im Falle der bereits erwähnten Einsiedler und christlichen Klostergründungen seinen jüngsten Höhepunkt findet. 

Das Hauptaugenmerk der Themeninsel liegt darauf, vormoderne Konzepte von der Wüste anhand ausgewählter Exponate darzustellen, sowie die Wirkung von Wüsten auf den Menschen und ihren Einfluss auf verschiedene Kulturen zu verdeutlichen. Hierbei wird auch über die Gestaltung des Raumes und ausgewählte Landschaftsaufnahmen vermittelt, dass es Naturorten wie Wäldern, Gewässern und Wüsten heute noch gelingt, uns in ihren Bann zu ziehen.

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