Between Materiality and Semiotic Traditions: Byzantine Animal Imagery in a Euro-Mediterranean Context

Ein Beitrag von Jessica Knebel

In der letzten virtuellen Sitzung der Ringvorlesung des Graduiertenkollegs 1876 am 03. Februar 2022 führte uns Dr. Tristan Schmidt, ein ehemaliger Doktorand des GRK 1876 und derzeit wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Schlesischen Universität Katowice, mit seinem Vortrag “Between Materiality and Semiotic Traditions: Byzantine Animal Imagery in a Euro-Mediterranean Context“ in die Welt der Tierbildlichkeit im byzantinischen Kulturraum ein. 

Zu Beginn des Vortrags fragte Schmidt nach der Bedeutung von Tieren in der byzantinischen Gesellschaft. Bereits ein kurzer Blick in die Quellen offenbare, dass das Tierverständnis vielfältig und nicht homogen sei. Um dies zu berücksichtigen, greift Schmidt auf den fruchtbaren Ansatz der material semiotics zurück. Dieser hybride Ansatz bezieht sich einerseits auf tatsächlich beobachtete Verhaltensweisen von Tieren in der realen Welt, andererseits basiert der Ansatz aber auch auf einem System von Bedeutungen und Symboliken, die den Tieren von Menschen zugeschrieben wurden (Abb. 1). 


Abb. 1: Ansatz der material semiotics (Folie aus dem Vortrag von Dr. Tristan Schmidt)

Aufgrund von erlebten Mensch-Tier-Kontakten entstanden symbolgeladene Assoziationen, die sich in gemeinsame Wertvorstellungen und gemeinsame Animalität von Menschen und Tier unterteilen ließen. Nach Schmidt sind die gemeinsamen Wertvorstellungen positiv konnotiert und beziehen sich auf Moralvorstellungen, Werte und Status der menschlichen Besitzer/Gefährten. Die negativ gewertete Animalität werde mit der menschlichen Unfähigkeit gleichgesetzt, sich anerkannten sozialen Normen und Werten anzupassen. Hierzu präsentierte Schmidt mehrere Beispiele. In der Erzählung des Pseudo-Neilos über die Ermordung der Mönche auf dem Berg Sinai und über die Gefangenschaft seines Sohnes Theodulos wird der Verzehr von Tieren mit (streunenden) Hunden assoziiert. Dies sei darauf zurückzuführen, dass Aas essende Hunde im östlichen Mittelmeerraum als Bild der Unreinheit galten und Vegetarismus als asketische Idealvorstellung vorherrschend war. Die Bedeutung von toten Tieren sei ebenfalls in Texten zu finden. Im Gedicht The Entertaining Tale of Quadrupeds (14. Jh. n. Chr.) beleidigen sich ein Hase, ein Hirsch und ein Wildschwein gegenseitig, um ihre Werte anhand ihrer toten Körper zu bestimmen (Abb. 2). Insbesondere ihr Fleisch oder Fell wurden als menschliche Statussymbole geschätzt. Dies impliziere, dass die Werte und Bedeutung von Tieren von ihrer Benutzung und ihrem Verzehr durch den Menschen abhängig waren. 

Abb. 2: Auszug aus The Entertaining Tale of Quadrupeds (Folie aus dem Vortrag von Dr. Tristan Schmidt)

Nicht nur in den Schriftquellen, sondern auch in der Bilderwelt von Konstantinopel sei der Mensch-Tier-Kontakt zu fassen. Dazu gehören unter anderem tiergestaltige Talismane und Apotropäika: Die im Hippodrom in Konstantinopel aufgestellte Schlangensäule wurde in spätbyzantinischer Zeit als apotropäischer Talisman gegen Schlangen und Schlangenbissen gewertet. Schmidt erläuterte, dass Texte und Bilder aus dem byzantinischen Kulturraum mit moralisch aufgeladenen Tieren arbeiteten, um unter anderem Ähnlichkeiten zwischen Fauna und menschlicher Gesellschaft hervorzuheben. Als Beispiel diente das Konzept des guten Hirtens. Basierend auf der Beziehung zwischen Hirten und Herde können die damit zusammenhängenden Aufgaben des Hirten, wie Führungsrolle, Abhängigkeit oder Schutz vor Gefahren, auf die byzantinische Gesellschaft übertragen werden. Dementsprechend werde der Herrscher als Hirte interpretiert, der die „wölfischen Barbaren“ vertreibe, und der die ihm anvertraute Herde umsorge. Allerdings könne der Kaiser auch als schlechter Hirte charakterisiert werden, wenn dieser seiner Fürsorgepflicht nicht nachkomme. Weitere Vergleiche zwischen Tierwelt und Herrscher sind in den Textquellen ebenfalls vorhanden. Häufig wurde die herrschende Person mit einem Löwen oder Adler gleichgesetzt. Die Stärke und der Mut des Löwen wurden zum Spiegel für Herrschertugenden, weshalb es in der mediterranen und nahöstlichen Überlieferung üblich war, Herrscher oder Krieger als Löwe darzustellen (Abb. 3). Zu den berühmten Vorbildern zählen z. B. Alexander der Große, Herkules oder Digenis Akritas.

Abb. 3: Löwe und Adler als kaiserliche Tiere (Folie aus dem Vortrag von Dr. Tristan Schmidt)

Anhand zahlreicher Beispiele verdeutlichte Schmidt im Anschluss, dass Tiere auch als allegorische Zeichen und Symbole im Rahmen der christlichen Zoologie gelesen werden konnten. Dies basiere darauf, dass Tiere als Übermittler von übernatürlichem Wissen verstanden wurden. Eine Schlange, erklärte Schmidt, stehe exemplarisch für den Gläubigen, der seinen sündigen irdischen Körper ablege – wie eine sich häutende Schlange. Der Pelikan, der seine Küken umbringt, ehe er diese mit seinem Blut wiederbelebt, werde mit Christus und seiner Wiederauferstehung gleichgesetzt. Aufgrund der prognostischen Funktion spielten Tiere auch in Träumen und Prophezeiungen eine Rolle (Abb. 4). So hatte der Heilige Makarios (4. Jh. n. Chr.) Träume über Dämonen, die sein Gesicht wie Raben angriffen. Eine Erklärung dafür sei, dass Raben mit Dämonen assoziiert wurden. Hingegen war der Adler positiv konnotiert. Kaiser Phillippikos Bardanes (8. Jh. n. Chr.) träumte von einem Adler, der ihm Schatten spendete und ihm damit seine künftige Herrschaft verkündigte. Laut Schmidt fungiere der Adler in diesem Beispiel als göttlicher Bote und kaiserliches Symbol.

Abb. 4: Beispiele für Tiere in Träumen und Prophezeiungen (Folie aus dem Vortrag von Dr. Tristan Schmidt)

Abschließend fasste Schmidt die Funktionen von „semiotischen“ Tieren zusammen. Einerseits seien diese als Übermittler von menschlichen Geschichten zu verstehen und würden als Objekt der Projektion in der (menschlichen) Kommunikation dienen. Andererseits sei Tier-Semiotik als Folge des Mensch-Tier-Kontakts aufzufassen, wodurch die Anwesenheit von Tieren die menschliche Wahrnehmung und Ausdrucksweise beeinflusste. Kritisch hinterfragte Schmidt, wie repräsentativ die (vorgestellten) Quellen sind, da diese lediglich die schreib- und lesefähige Elite repräsentieren, und die Mehrheit des Materials aus Konstantinopel stammt. Schmidt schlussfolgerte, dass es keine einheitliche „byzantinische“ Sicht auf Tiere und deren Bedeutung gab. Vielmehr würden vielfältige Sichtweisen in einem größeren Rahmen von gemeinsamen Konzepten und Traditionen vorhanden sein. In der anschließenden Diskussion wurden Fragen zu einzelnen Tiersymboliken aufgeworfen, z. B. zur Leseart des Löwen oder des Kamels. Aber auch Anmerkungen zu Apotropäika oder zur Behandlung von Tieren durch Menschen kamen in der lebhaften Diskussion auf. Mit seinem Vortrag, der sowohl auf Spezifika als auch auf Universalien der Tierbildlichkeit verwies, trug Schmidt zur interdisziplinären Diskussion der Ringvorlesung des GRKs 1876 bei, die danach frage, inwieweit sich Konzepte in verschiedenen Kulturkreisen miteinander vergleichen lassen.

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