Rest, Sleep, Repeat – Müdigkeit und Schlaf im alten Ägypten

Ein Vortrag im Rahmen der Ringvorlesung von Dr. Simone Gerhards (Mainz)

Ein Beitrag von Sibel Kayan

Im Rahmen der Ringvorlesung "Konzepte von Mensch und Natur: Universalität, Spezifität, Tradierung" hielt Dr. Simone Gerhards (Mainz) am 20.01.2022 einen Vortrag zum Thema Müdigkeit und Schlaf im alten Ägypten. Ziel ihres Vortrages war es, den Bedeutungsgehalt der Begriffe „Müdigkeit“ und „Schlaf“ mit Hilfe von sprachwissenschaftlichen Methoden (Wortfelduntersuchung) zu definieren, um aufzuzeigen, inwiefern die Tätigkeiten „müde sein“ und „schlafen“ im altägyptischen Kulturraum ab dem Alten Reich bis zum Ende des sog. „Neuen Reichs“ (ca. 2800 v. Chr. bis 1070 v. Chr.) zusammenhingen. Ein Fokus wurde dabei auf die Bedeutung beider Begriffe im Kontext von Körper und Natur gelegt.

In den Textquellen findet Müdigkeit in fünf (Konzept-)Bereichen Erwähnung: Körper, Natur, Raum, Tod und die Götterwelt. Eine besondere Häufung zeigt sich im Bereich des Körpers, wobei neben dem Körper an sich, auch die Körperwahrnehmung und insbesondere einzelne Körperteile in den Vordergrund gestellt werden. Dieser Zusammenhang lässt sich u.a. an einigen Lexemen aus dem Wortfeld „Müdigkeit“ ableiten, welche übergeordnete Bedeutungsaspekte abdecken, die den müden Körper mit einer geistigen Erschöpfung, Bewegungs-, Bewusst- und/oder Regungslosigkeit in Verbindung setzen (Abb. 1).

Abb. 1: Wortfelduntersuchung: Müdigkeit (Folie 15 des Vortrages von Dr. Gerhards)

Gerhards beobachtete, dass anders als im deutschen Sprachgebrauch der Ausdruck „müde sein“ weniger im Kontext von geistiger oder körperlicher Erschöpfung erscheint, sondern vielmehr einen Zustand absoluter Inaktivität bezeichnet, welcher u.a. dem Schlaf vorangestellt wird, aber auch für andere Situationen Verwendung findet. Hierzu geben sog. Klassifikatoren (Deutzeichen am Wortende) in der ägyptischen Sprache nähere Hinweise. 

Dabei merkte Gerhards an, dass es im altägyptischen Vokabular keinen Klassifikator gebe, der explizit und dezidiert „Müdigkeit“ auszudrücke. Stattdessen tritt für das Wort „Müdigkeit“ zum einen der Klassifikator eines „vor Erschöpfung zu Boden gesunkenen Mannes“ auf, der sich bspw. auch in dem Wort „sitzen“ findet, mit welchem ein ähnlich passiver Zustand ohne Aktivität und Bewegung ausgedrückt wird (Abb. 1). Zum anderen wird Müdigkeit mit Klassifikatoren versehen, die einen „auf dem Bett liegenden Mann“ in verschiedenen Varianten darstellen (Abb. 1), womit laut Gerhards die Müdigkeit allein auf sprachlicher Ebene eine Verbindung zum Schlaf aufzeige. Anhand der Klassifikatoren lasse sich daher insgesamt erschließen, dass Müdigkeit von der ägyptischen Kategorienbildung einerseits als ein weitgefasster Begriff des Schlafes zu fassen sei, während sich Müdigkeit anderseits generell als ein Teilbereich von Passivität begreifen lasse. 

Gerhards präsentierte hierzu einige Fallbeispiele, die sich auf die Bereiche Körper und Natur beziehen. In Bezug auf den Körper treten dabei (1) Ausdrücke für einen müden Körper insgesamt, (2) Ausdrücke für eine Bewegungsunfähigkeit von Körperteilen, wobei der Fuß das Gesicht, der Darm und der Phallus in den Vordergrund rücken sowie (3) Klassifikatoren auf, die Müdigkeit als einen Zustand innerhalb des Körpers verorten, der mitunter fremdkontrolliert werden kann (Abb. 2). Dabei fällt auf, dass viele Ausdrücke noch im heutigen Sprachgebrauch vertreten sind. So gibt es etwa in der deutschen Sprache ebenfalls den metaphorischen Ausdruck von „müden Knochen“, welcher etwa mit dem altägyptischen Ausdruck ꜥ.t wrḏ (müde Glieder) gleichgesetzt werden kann. 

Abb. 2: Bedeutungsaspekte in Bezug auf den Körper (Folie 16 des Vortrages von Dr. Gerhards)

In der altägyptischen Vorstellungswelt lassen sich zwei Bereiche fassen, in der Müdigkeit in Bezug auf Natur(-Phänomene) erscheint: das Wasser sowie der Sonnenlauf. So treten hier etwa die Ausdrücke von „müdem Urgewässer“ und „müde Menschen, die im Urgewässer treiben“ hervor. Während das „müde Wasser“ eine enge Verbindung zur Schöpfung(-sgeschichte) bzw. einer schöpferischen Natur aufweist, implizieren die Ausdrücke, die sich auf den Sonnenlauf beziehen, den Stillstand der Schöpfung und damit das Ende der Welt. So finden sich hier die Ausdrücke „unermüdliches Rudern“, was sich auf die Barke des Sonnengottes bezieht, oder „mit Arbeit abmühen“, was auf die pausenlose Arbeit der Götter verweist. 

Für den Schlaf ist dabei zu beobachten, dass sich der Begriff zwar innerhalb derselben fünf (Konzept-)Bereiche wie die Müdigkeit bewegt (Körper, Natur, Raum, Tod und die Götterwelt), sich jedoch sein Einsatzfeld auf zwei weitere Bereiche ausdehnt: die Gesellschaft sowie die Zeit. Dabei häufen sich die Textbelege – ähnlich wie bei dem Konzept der Müdigkeit – besonders im Bereich des Körpers. Dies lässt sich bereits anhand des Lexems sdr erkennen, welches für den Begriff „schlafen“ am häufigsten Verwendung findet und bestimmte Aktionen des Körpers (Augen schließen, liegen, träumen) als Voraussetzungen definiert. In seiner Bedeutung kann sdr u.a. als „die Nacht verbringen (mit oder ohne eine Tätigkeit)“, „schlafen“ oder „sich hinlegen“ wiedergegeben werden. 

In Bezug auf die (Konzept-)Bereiche Körper und Natur lässt sich beobachten, dass der Schlaf auf sprachlicher Ebene eine enge Verbindung zum zyklischen Ablauf von Tag und Nacht herstellt. Entscheidend ist dabei die Funktion und Deutung der Augen, die im Schlaf geschlossen werden und Dunkelheit (Nacht) erzeugen, während sie beim Öffnen diesen Prozess unterbrechen und Licht (Tag) zulassen. Dabei wird der Kreislauf aus „schlafen“ und „wach sein“ als ein natürlicher und damit Gott gegebener Bestandteil des Lebens empfunden, der grundsätzlich weder von Mensch noch Tier eigenständig gesteuert werden kann. 

Dementsprechend wurde der Schlaf u.a. als eine externe Kraft interpretiert, die sich in Form eines Windhauches, Nebels oder einer Flüssigkeit über verschiedene Körperregionen „ergießen“ und Besitz ergreifen kann: (1) die Augen, (2) das Herz/Körperinnere, (3) den Leib und/oder (4) einzelne Körperglieder (Abb. 3). Anderseits wird der Schlaf als ein eigener Bestandteil des Körpers aufgefasst, womit er als dem Menschen zugehörig definiert wird. Diese Ambivalenz (innere und äußere Kraft) lasse sich laut Gerhards mit den individuellen Wahrnehmungen der körperlichen und psychischen Reaktionen während des Schlafprozesses begründen.


Abb. 3: Der Schlaf als Externe Kraft: Bedeutungsaspekte in Bezug auf den Körper (Folie 26 des Vortrages von Dr. Gerhards)

Einen besonderen Bedeutungsaspekt, der sich ebenfalls auf den Bereich der Zeit (zyklischer Ablauf von Tag und Nacht) bezieht, stellt die Regeration bzw. die (Wieder-)Geburt dar, die den Schlaf als Heilmittel gegen Krankheiten sowie als Mittel für die körperliche Regeneration (Verjüngung/Erneuerung) deutet. Die regenerative Wirkung des Schlafes werde dabei häufig mit einer Geburt verglichen bzw. gleichgesetzt. Einen ähnlich gebildeten Ausdruck findet sich in der deutschen Sprache bei dem Ausspruch „ich fühle mich wie neugeboren“, der für gewöhnlich nach einem langen Schlaf geäußert wird. 

Auf denselben Sinnzusammenhang verweisen laut Gerhards Textbelege, die ein ungeborenes Kind im Mutterleib als „schlafend“ bezeichnen. Dieser Zustand weise eine Verbindung zu dem schöpferischen Urgewässer auf, in welchem der Mensch „müde“ treibe, bis er (wieder-)geboren werde. Dabei stellt das Urgewässer eine Analogie für das Fruchtwasser im Mutterleib her, in dem das ungeborene Kind bis zum Tag seiner Schöpfung „schläft“. Dieser Gedanke wurde womöglich auch auf Bestattungsriten übertragen, worauf Gefäßbestattungen aus prä- und frühdynastischer Zeit hindeuten, die Knochen von (Klein-)Kindern und Erwachsenen in Krügen bargen (Abb. 4). Laut Gerhards könne dies ein Indiz dafür sein, dass die Krüge womöglich mit einer Flüssigkeit gefüllt waren.


Abb. 4: Bedeutungsaspekte in Bezug auf den Körper: Regeneration/(Wieder-)Geburt (Folie 28 des Vortrages von Dr. Gerhards)

Anders als beim Konzept der Müdigkeit wird der Schlaf u.a. auch als ein gefährlicher Zustand gedeutet, der hauptsächlich mit der Bewusstlosigkeit bzw. dem fehlenden Reaktionsvermögen des Menschen begründet werden kann. Um die Verwundbarkeit des Menschen im Schlafzustand zu reduzieren, wurden unterschiedliche Bewältigungsstrategien entwickelt, etwa ein (aus subjektiver Sicht empfundener) sicherer Ort und die Anwesenheit weiterer Personen beim Schlafen. 

Einen interessanten Aspekt stellt dabei das „gemeinsame Schlafen“ bzw. das sog. Co-Sleeping dar, das zwar in keinen ägyptischen Textquellen, jedoch aus archäologischen Funden hergeleitet werden kann. So sind etwa Figurinen oder Ostraka überliefert, die Frauen und Kinder auf Betten in einer sog. Wochenlaubenszene darstellen (Abb. 5). Mit dieser Praxis stellt Gerhards eine Jenseitsklage aus dem Ende der 18. bis zur frühen 19. Dynastie in Verbindung, die die Vermutung nahelegt, dass Kinder bis zu einem gewissen Alter auf dem Oberkörper ihrer Amme geschlafen haben. 


Abb. 5: Zum Co-Sleeping im Alten Ägypten (Folie 32 des Vortrages von Dr. Gerhards)

Zum Schluss nahm Gerhards die Metapher „miteinander schlafen“ im Sinne von Sexualität und Zeugung ins Blickfeld, um zu unterstreichen, dass auch hier die Metapher hinsichtlich der Zeit bzw. des zyklischen Ablaufs von Tag und Nacht in den Textquellen eine Rolle spielte. So wurde die Zeugung der Nacht und die Geburt dem Tag zugeordnet.

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