Die Pläne des Himmels und der Erde – Altorientalische Vorstellungen vom Beginn und Sinn der Zeit. Ringvorlesungsvortrag von Tim Brandes

Ein Beitrag von Francisco José Gómez Blanco

Am 16. Dezember war Tim Brandes, ehemaliger Doktorand des Graduiertenkollegs 1876, zu Gast in der Ringvorlesung. Mit seinem Vortrag „Altorientalische Vorstellungen vom Beginn und Sinn der Zeit“ präsentierte Tim uns ein Thema, das eng mit seiner bereits abgeschlossenen Dissertation zusammenhängt.

„Die Zeit ist ein Phänomen, das die Menschen immer wieder fasziniert und beschäftigt.“ Mit dieser Aussage eröffnete Tim seine Vorstellung von Konzept und Sinn der Zeit im Alten Orient. Denn Zeit ist von großer Bedeutung, sowohl in früheren als auch in heutigen Gesellschaften: Zeit spielt eine führende Rolle in der Organisation von Wirtschaft und Sozialem, ebenso für die Definition von Gegenwart und Vergangenheit, die letztendlich die Geschichte einer Gesellschaft bilden. Setzen wir uns insbesondere mit dem Konzept der Zeit im Alten Orient auseinander, fällt zunächst auf, dass die jeweiligen Sprachen über kein Wort verfügten, die unseren modernen Zeitbegriff ähneln. Stattdessen sind Zeitbegriffe mit wirtschaftlichem, politischem oder natürlichem Bezug („Erntezeit“, „Regierungszeit“ oder „Abend“) zu finden. Andere, wiederum sehr präzise Zeitbegriffe gibt es in diesen Sprachen hingegen für die Bezeichnung von „Tag“, „Monat“ und „Jahr“. Ihre Präzision beruht auf astronomischen Zyklen, sodass die durch den jeweiligen Begriff gemeinte Zeitlänge genau verstanden werden kann. Mit diesen drei Zeitbegriffen – „Tag“, „Monat“ und „Jahr“ – lässt sich, so Tim, der Kern des babylonisch-assyrischen Konzepts von Zeit erklären.


Abb. 1: Keilschrifttafel aus dem "MUL.APIN". Wikipedia.

Wie Zeit im Alten Orient verstanden und wahrgenommen wurde, erklärte Tim, indem er mehrere altorientalischen Schriftquellen betrachtete, die sich auf die Entstehung und den Verlauf der Zeit beziehen. Dazu zählt zunächst das babylonische Weltschöpfungsepos „Enūma eliš“. Hier wird von der Entstehung der Götter und den untereinander entstandenen Konflikten erzählt, die mit dem Sieg von Marduk, Hauptgott des babylonischen Pantheons, enden. Darüber hinaus wird über die Einführung der Zeit berichtet: Marduk verteilt die Sterne in Konstellationen und gibt ihnen sowie dem Mond und der Sonne Aufgaben: Sterne, Mond und Sonne geben durch ihre angewiesenen Bewegungen den Lauf der Zeit und somit Tage, Monate und Jahre vor. Diese Rolle der Sterne ist ebenso in anderen Textquellen zu finden. Im „MUL.APIN“ kommen zahlreiche, idealisierte Sternenschemata mit kalendarischem Bezug vor (Abb. 1). Diese gingen davon aus, dass ein Jahr aus genau 360 Tagen bestand, die sich auf zwölf Monate von genau 30 Tagen aufteilten und trotzdem mit den Bewegungen der Himmelskörper synchronisiert waren. Dies war somit von großer Bedeutung für das Zeitkonzept im Alten Orient, wie es ebenso das „Handbuch der Beschwörungskunst“ aus dem 1. Jt. v. Chr. zeigt (Abb 2). Ein anderes Sternensystem wird in den sog. „Astrolabien“ ausgeführt: das „Zwölfmaldrei“ oder „MUL.MEŠ 3.TA.ÀM“ („je 3 Sterne“). Dadurch werden jedem der 12 Monate drei Sterne zugeschrieben, die im jeweiligen Monat im Himmelssektor des Pfadens Enlil (oben), Anu und Ea (unten) aufgehen sollten. Dabei taucht dazu der ebenfalls von Marduk in den Himmel gesetzte Stern Nēberu auf, der als Orientierungspunkt diente. Eine Regulierung des Kalenders durch Sterne wurde schnell von neuassyrischen Gelehrten übernommen, wie ihre Briefe und Berichte an den König beweisen.

Abb. 2: Tim stellt vor ein Fragment vom "Handbuch der Beschwörungskunst".

Im Enūma eliš werden auch anderen Himmelskörpern Aufgaben zugeteilt: Der Mond hatte in der Zeitwahrnehmung eine essentielle Rolle, denn sein Verlauf zeigte nicht nur Monate, sondern auch Tage und Jahre an (der Tag fing z. B. im Alten Orient am Abend an). Die Sonne teilte, wie noch explizit im Šamaš-Hymnus erzählt wird, die vom Mond vorgegebenen Zeiteinheiten (Tag, Monat und Jahr) auf, sodass durch die Sonne eine präzisere Zeitmessung möglich war. Damit ist nicht nur ihr Verlauf gemeint, sondern auch ihre Wärme – die nach Jahreszeiten unterscheiden ließ – oder ihre Helligkeit – für die genaue Zeit innerhalb eines Tages. In weiteren Texten wie „Ištars Erhöhung“ und „Enūma Anu Enlil“ werden, ähnlich wie im Enūma eliš, die Aufgaben von Mond und Sonne erklärt, jedoch scheint hier Marduk keine Rolle zu spielen. Hingegen bezieht sich die Erzählung auf die Götter Enlil, Anu und Ea. Im letzteren Werk, das aus über 70 Tafeln besteht, wurden noch zahlreiche astrale und meteorologische Omina zusammengetragen. Dadurch wird deutlich, dass Himmelskörper nicht nur eine Deutung von Zeit, sondern auch ein Zeichen gewisser Omina darstellten. Das Verhältnis von Zeit und Omina hatte im Alten Orient große Bedeutung, denn ihre Interpretation, die von Gelehrten ausgeführt wurde, hing meist mit dem jeweiligen Zeitpunkt zusammen, an dem sie beobachtet wurden. Es wird somit klar, warum Gelehrte der Verwaltung der Zeit und des Kalenders so viel Aufmerksamkeit widmeten (Abb. 3).

Abb. 3: Tafel 20 vom "Enuma Anu Enlil" mit auf Sonnenfinsternisse bezogene Omina (source).

Der Vortrag von Tim zeigte uns, dass der Zeit im Alten Orient ein mythologischer Ursprung zugeschrieben wurde. Verschiedene schriftliche Quellen zeigen, dass die jeweils höchsten Götter des Pantheons (Anu, Enlil und Ea bzw. Marduk) Sterne, Mond und Sonne an den Himmel setzten, dadurch den Zeitverlauf bestimmten und brachten somit Ordnung in den Kosmos. Gleichzeitig rechtfertigte dies die königliche Herrschaft auf der Erde, da allein Könige Entscheidungsmacht über den Kalender hatten. Von ihnen war zu erwarten, dass sie die göttliche, von Marduk hervorgerufene Ordnung aufrechterhielten und, im Fall einer Katastrophe, wiederherstellten. Doch der König war nicht die einzige, wichtige Figur im Spiel. Bemerkenswert ist auch die Rolle der Gelehrten, denen das Gehör der Könige galt. Sie verbreiteten mythologisch begründete Erklärungen über die Zeit, leisteten jedoch auch einen Beitrag in der Interpretation von zeitabhängigen Omina für die Aufrechterhaltung des Kalenders – und somit auch der komischen Ordnung und der politischen Beständigkeit.

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