Von menschlichen Tieren und tierischen Menschen. Zum reziproken Einfluss griechisch-römischer Konzepte von Mensch und Natur

Ein Beitrag von Judit Garzón Rodríguez

Am 2. Dezember 2021 hatte das Graduiertenkolleg 1876 im Rahmen der Ringvorlesung Dr. Dominik Berrens zu Gast. Herr Berrens, ein ehemaliger Doktorand des GRK, der derzeit an der Universität Innsbruck tätig ist, stellte Aspekte seines Promotionsprojektes vor, u. a. die Frage nach Selbstbeschreibungsformeln der Gesellschaft sowie der Darstellung sozialer Insekten, zwei für ihn eng miteinander verbundene Forschungsgebiete.

In seinem Vortrag „Von menschlichen Tieren und tierischen Menschen. Zum reziproken Einfluss griechisch-römischer Konzepte von Mensch und Natur“ untersuchte Berrens die Konzepte der so genannten „sozialen Tiere“ (ζῷα πολιτικά = „soziale Tiere“) anhand verschiedener Primärquellen wie der Historia animalium des griechischen Philosophen Aristoteles und der Historia naturalis des römischen Enzyklopädisten Plinius. So wurden durch die Verwendung von Tieren wie Bienen und Ameisen und deren „soziale Organisation“ bestimmte Vorstellungen von Regierungsformen in antiken Texten dargestellt. 

Analogien zwischen der Tier- und der Menschenwelt, d. h. Tiere, die Menschen darstellen, und Menschen, die Tiere darstellen, findet sich jedoch bereits in den frühesten Zeugnissen der griechischen Kultur. So gibt es beispielsweise Darstellungen auf Keramiken, auf denen menschliche Figuren mit tierischen Merkmalen – im Zusammenhang mit dem Bereich der Theaterinszenierung – zu sehen sind. Analogien zwischen Menschen und bestimmten Tieren finden sich ebenfalls häufig in literarischen Werken. Ein bekanntes Beispiel für ein Löwen-Gleichnis erscheint in Homers Ilias 3, 21 – 29, in dem Menealos mit einem Löwen verglichen wird. So steht der Löwe im Gleichnis für bestimmten Eigenschaften wie Stärke oder Macht und einer Fokussierung auf die Beute.

Auch in späteren Texten tauchen häufig Vergleiche zwischen Tieren und Menschen auf. Ein gängiger Vergleich ist zum Beispiel der zwischen Bienen und Dichtern, der möglicherweise auf die Metapher honigsüßer Gesang zurückgeht. Mit anderen Worten: Honig ist = Gesang / Rede, so wie Biene = Dichter / Redner ist. Eine weitere Analogie besteht zwischen dem Bienenkönig (die Königsbiene galt in der Antike in der Regel als männlich) und dem menschlichen König. In diesem Sinne wurden weitere Analogien zur sozialen Organisation von Bienen und Menschen gezogen. Ausgehend von dieser Vorstellung einer Sozialität im Tierreich wurden Bienen seit der Antike immer als Monarchie mit einem mehr oder weniger starken König an der Spitze und einer sehr komplexen sozialen Organisation verstanden.

Ameisen wurden dagegen als „anarchisch“, d.h. ohne Herrscher, beschrieben. So lässt sich aus den Textquellen eine gewisse Bewunderung für die Ameisen herauslesen, die sich vor allem aus der Tatsache ergibt, dass ihr Gemeinwesen trotz des scheinbaren Fehlens eines Anführers gut organisiert ist. Dominik Berrens analysierte auch die Rolle der Ameisen in modernen Diskursen, wo sie immer häufiger mit der Idee eines demokratischen Staates in Verbindung gebracht werden. Er stellte klar, dass die Ameisengesellschaft je nach der Einstellung des Textes zu dieser Form der (menschlichen) Regierung negativ oder positiv dargestellt wird. So werden Bienenstöcke und Ameisenhaufen auch als Legitimation für die mit ihnen verbundene Staatsform genannt.

Der Vortrag gab einen Einblick in die enge Beziehung zwischen Menschen und sozialen Insekten. Berrens verdeutlichte anhand vieler Beispiele die reiche literarische Auseinandersetzung mit Bienen und Ameisen im griechisch-römischen Kulturkreis. Er betonte, dass Insekten als eng mit dem Menschen verwandt angesehen wurden, insbesondere im Hinblick auf ihre soziale Lebensweise. So sind ihre Darstellungen laut Berrens oft stark von Anthropomorphismen geprägt. In diesem Sinne findet eine häufige Nutzung vermenschlichender Begriffe in Zusammenhang mit Tieren in Texten der griechisch-römischen Antike. Aus diesem Grund lässt sich schlussfolgern, dass die Grenzen zwischen menschlichen und nicht-menschlichen Domänen in manchen Fällen, wie die von Berrens skizzierten, sehr diffus sind.

In seiner Arbeit betonte er ebenfalls die Idee, dass menschliche Werte und Institutionen auf die Tierwelt übertragen werden, während gleichzeitig Beobachtungen aus der Tierwelt zum Maßstab menschlichen Handelns werden. Für Dominik Berrens spiegelt dies ein Naturverständnis wider, in dem alles auf allen Ebenen ähnlich oder gleich organisiert ist und daher Analogieschlüsse zulässt.

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