Semiotik in den Bildwissenschaften. Ein Vortrag von Maral Schumann im Rahmen des Methodenseminars: „Frühe Konzepte von Mensch und Natur: Theorien, Methoden und Begriffe“

Ein Beitrag von Sibel Kayan.

 

Das Methodenseminar „Frühe Konzepte von Mensch und Natur: Theorien, Methoden und Begriffe“ ist ein integrierter Bestandteil unseres Graduiertenkollegs und hat das Ziel, die methodischen Kompetenzen der Kollegiatinnen und Kollegiaten zu erweitern. Es bietet eine Einführung in ausgewählte kulturwissenschaftliche Theorien, Methoden und Begriffe sowie in die mit ihnen verbundenen Fragestellungen und Anwendungsmöglichkeiten. Am 29.02.2021 hielt Maral Schumann im Rahmen dieses Methodenseminars einen Vortrag zur Anwendung der Semiotik in den Bildwissenschaften am Beispiel ihres Promotionsprojektes „Der Umgang mit dem toten Körper: Bestattungsformen und Todeszeremonien im vorislamischen Persien“.

Maral Schumann ist seit Oktober 2020 wissenschaftliche Mitarbeiterin des Graduiertenkollegs 1876 „Frühe Konzepte von Mensch und Natur: Universalität, Spezifität, Tradierung“ und promoviert im Fach „Vorderasiatische Archäologie“. Ziel ihres Promotionsprojektes ist eine zeitliche, regionale und kulturelle Kategorisierung der unterschiedlichen Umgangsformen mit dem toten Körper innerhalb einer übergeordneten Religion (Zoroastrismus) mit differenzierter Ausprägung. Ihre Hauptquellen umfassen sowohl archäologische, als auch bildliche und schriftliche Zeugnisse, womit eine transdisziplinäre Untersuchung angestrebt wird. Als methodische Vorgehensweise eignet sich daher die Semiotik (auch Semiologie), die Wissenschaft von Zeichen(-Prozessen) in Kultur und Natur, besonders gut. 

 

Semiotik in den Bildwissenschaften

Zeichen stehen nach Ansicht des Semiotikers Charles Sanders Peirce in einer triadischen Beziehung zueinander (Abb. 1):

(1) Das Zeichen (auch Repräsentamen) wird als etwas definiert, das für jemanden in einem Aspekt oder einer Fähigkeit nach für etwas steht. Der Semiotiker Ferdinand de Saussure verwendet hierfür den Begriff des Signifikanten (signifiant), worunter er die Ausdrucksseite eines sprachlichen Zeichens versteht. Peirce expliziert diesen Gedanken insofern, als dass er das sprachliche Zeichen als Laut-/Schriftzeichen definiert, das als Zeichenkörper visuell wahrnehmbar ist und auf eine Bedeutung oder einen Begriff verweist, den Gegenstand (Signifikat).

Zur eindeutigen Bestimmung des Zeichens bzw. Zeichenträgers schlägt Peirce eine dreigliedrige Klassifizierung vor: Ein ikonisches Zeichen (Signifikat ist dem Signifikant ähnlich), ein hinweisendes Zeichen (Signifikant steht mit dem Signifikat in irgendeiner natürlichen Verbindung) und ein symbolisches Zeichen (Signifikat und Signifikant haben ein willkürliches Verhältnis, welches nur mit Hilfe eines Codes entschlüsselt werden kann).

(2) Der Interpretant ist nicht zu verwechseln mit dem Interpret (Deutendem), der die Verbindung zwischen dem Zeichen und dem Gegenstand erfasst. Der Interpretant wurde von Peirce ergänzend zum Zeichenmittel (Zeichen) und Objekt (Gegenstand) eingeführt. Er fungiert innerhalb des semiotischen Dreiecks als eine Art Interpretationshilfe, die dazu beiträgt, das Zeichen für den Interpreten verständlich(er) zu machen bzw. zu präzisieren. Der Interpretant stellt in dieser Konstellation folglich ein (kognitives) Bindeglied dar, das als unterstützendes Element, den Sinn (Frege), die Intention (Carnap) oder auch das mentale Bild (Saussure und Peirce) eines Zeichens für den Interpreten zugänglich macht. 

(3) Der Gegenstand (auch Signifikat) steht innerhalb des semiotischen Dreiecks für das, was mit Hilfe eines Zeichens ausgedrückt werden soll. Synonyme für den Gegenstand sind Begriffe wie Extension (Carnap) oder auch Denotation (Russell), die letztlich den Ausgang bzw. das Ergebnis einer Interpretation implizieren. 

 

 

Abb. 1: Semiotisches Dreieck und Zusammenstellung der Begriffe für die einzelnen Faktoren – Eco, Umberto. Zeichen. Einführung in einen Begriff und seine Geschichte, Frankfurt a. M. 1977, S. 30.

 

Drei Bildbeispiele

Maral Schumann hat auf Grundlage dieser Begrifflichkeiten drei Bildbeispiele aus ihrem Promotionsprojekt vorgestellt. Das erste Beispiel zeigte eine Wandmalerei aus dem 6. Jh., die ursprünglich aus Penjikent (Tadschikistan) stammte und heute im Hermitage Museum in Sankt Petersburg zu finden ist (Abb. 2). Dass es sich bei der Bildszene um eine Trauerszene bzw. -zeremonie handle (Gegenstand), lasse sich, so Maral Schumann, mit Hilfe hinweisender Zeichen erschließen, wie etwa anhand der Darstellung von trauernden Frauen sowie einer auf dem (Toten-)Bett liegende Person. Letztere trägt eine (Vogel-)Krone, womit die Figur als König bzw. Prinz charakterisiert wird.

In seiner Gesamtheit ist das Bildmotiv als ein symbolisches Zeichen zu deuten, das die Trauerzeremonie des (mythologischen) Königs Siyāvoš versinnbildlichen soll. Für das Identifizieren dieses Bildmotivs ist das Wissen (Interpretant) über die Geschichte vom Tod des Königs Siyāvoš aus dem Königsbuch von Ferdowsi vorausgesetzt. Der Code zum Entschlüsseln dieses Bildmotives liege somit in dem Wissen/Kennen dieser Geschichte.

 

Abb. 2: Trauerszene, Wandmalerei, 6. Jh., Tempel II, Penjikent, Tadschikistan (Hermitage Museum, SA-16236).


Auch das zweite Bildbeispiel (Abb. 3), ein Steinrelief, das auf dem Tympanon eines Grabes von An Qie in China zu finden ist, ist in seiner Gesamtheit als ein symbolisches Zeichen zu deuten, das für eine Todeszeremonie (Gegenstand) stehe. So könne das Motiv ohne das Interpretieren der Speisetische als Opfergaben und der Mischwesen (Sorūsh) als Priester, die mit Hilfe von Bündeln (barsom) die Opfergaben weihen, nicht als Todeszeremonie identifiziert werden (Interpretant). Der Code dieses symbolisch geprägten Zeichens bzw. Motivs sei demnach das Wissen/Kennen der Darstellungsweise von Sorūsh (mitsamt ihrer Funktion als göttliche Boten) als Priester.

 

Abb. 3: Tympanon oberhalb der Eingangstür des Grabes An Qie, Steinrelief bemalt und vergoldet, Xi’an, (Shaanxi History Museum).

 

Das dritte Bildbeispiel zeigt zwei astōdān-Exemplare (Knochenbehälter) aus Zentralasien, die ein ähnliches Bildmotiv wie das vorherige aufweisen (Abb. 4). Die Speisetische werden allerdings – anders als im vorherigen Beispiel – zweidimensional und von oben betrachtet (Auf-/Draufsicht) abgebildet (Zeichen), was laut Maral Schumann den Code für das Interpretieren des Motivs als Trauerzeremonie darstelle. Insofern muss dem Betrachter die Darstellung von Speisetischen als quadratische Symbole bekannt gewesen sein (Interpretant), welche dann in Kombination mit dem Wissen/Kennen des Bildmotivs (Speisetisch und Priester) als Todeszeremonie (Gegenstand) gedeutet werden könne.

 


Abb. 4: a) astōdān, Shahr-i Sabz (Yumalak Tepe), Usbekistan (Shenkar 2014, Pl. 6); b) astōdān, Sivaz, Usbekistan (Grenet 1993, 58) – Markierungen von Maral Schumann.


Es folgte eine lebendige Diskussion über die Klassifizierung der in den Bildbeispielen interpretierbaren Zeichen. Eine Problematik sahen die Teilnehmer und Diskutanten in der Interpretation von Zeichen, die mehr als eine Sinnbedeutung (ikonisch/hinweisend/symbolisch) haben können. Ein Kamel kann etwa sowohl ein ikonisches Zeichen sein, als auch im Kontext einer Todeszeremonie für ein symbolisches Zeichen (bspw. für heiliges Feuer und/oder ein Attribut eines Gottes) stehen. Wie Maral Schumann hierzu anführte, ist die Ikonizität in der Semiotik durchaus problematisch, da Abbildungen häufig neben ihrer ikonischen Bedeutung einen symbolischen oder hinweisenden Charakter haben. Aus diesem Grund tendiert sie in ihrer Arbeit dazu, alle Zeichen innerhalb einer Abbildung als hinweisend und/oder symbolisch zu deuten; insbesondere in der Kombination der Zeichen finde sich ihr (Sinn-)Zusammenhang mit dem Thema Tod. Eine Schlüsselkomponente in der Interpretation der Bilder als hinweisende und/oder symbolische Zeichen seien schriftliche Quellen, vorzugsweise Texte, die erklären können, in welchem (Sinn-)Zusammenhang das Bildmotiv stehe. Auch Fundorte (wie Grabkammern o.ä.) können dabei helfen, den Kontext der Bildmotive zu erschließen. Aus diesem Grund beabsichtigt Maral Schumann eine transdisziplinäre Herangehensweise an die Bilder bzw. die Zeichen in ihrem Promotionsprojekt.    

Mit einem Ausblick auf die Semiotik in den Philologien, zu dem Prof. Dr. Tanja Pommerening  eine kurze Präsentation vorbereitet hatte, wurde die Sitzung beendet.

 

 

Literaturhinweise


de Saussure, Ferdinand. Grundfragen der allgemeinen Sprachwissenschaft, Berlin 1967.

Eco, Umberto. Zeichen. Einführung in einen Begriff und seine Geschichte, Frankfurt a. M. 2016.

Eco, Umberto. Einführung in die Semiotik, Münschen 2002.

Morris, Charles William. Grundlagen der Zeichentheorie, Ästhetik der Zeichentheorie, Frankfurt a. M. 1988.

Volli, Ugo. Semiotik. Eine Einführung in ihre Grundbegriffe, Tübingen und Basel 2002.


 

 


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