Gastvortrag von Jun.-Prof. Dr. Camilla Di Biase-Dyson: „Metaphern in der Medizin“

Ein Beitrag von Mirna Kjorveziroska.

Am 29. November 2018 hat Jun.-Prof. Dr. Camilla Di Biase-Dyson (Göttingen) in der Plenumssitzung einen Gastvortrag unter dem Titel „Metaphern in der Medizin. Fallstudien aus der altägyptischen Textwelt“ gehalten. Der Vortrag bündelte nicht nur eindrückliche Beispiele aus dem das Zeitintervall von 1900–1070 v. Chr. umfassenden Korpus, wie Krankheit, Heilung oder innere Bestandteile des Körpers metaphorisch benannt und erklärt werden, sondern stellte auch grundsätzliche Überlegungen über den Konnex zwischen Bildsprache und Fachsprache im Alten Ägypten an. 

Semantische Überraschungen
Als Ausgangspunkt zur Identifizierung und Systematisierung der altägyptischen medizinischen Metaphern fungierten konventionalisierte Verben, in deren Radius sich eine Umkodierung der erwarteten Aktantenrollen bemerkbar macht, indem das Agens oder das Patiens gegen den gewöhnlichen Belebtheits- oder Unbelebtheitsstatus verstößt. Die Metaphorizität ist somit in den zwei Buchstaben des (fehlenden) Negationspräfixes verdichtet, Hauptprotagonisten der Dramaturgie des Übergangs von der proprie- zu der metaphorice-Sprachverwendung sind die Antonyme ,belebt–unbelebt‘. 

So können Metaphern dadurch generiert werden, dass ein Patiens überraschenderweise belebt wird – wenn man statt Korn einen Patienten wiegt oder misst (= untersucht) oder wenn man nicht einen Knoten, sondern einen Patienten löst (=heilt). Mit ähnlichem Überraschungseffekt lässt sich einem gängigen verbum movendi ein unbewusstes Agens zuordnen: Anstelle der Person als Gesamtheit führt nur die Krankheit, der Schmerz oder ein partikuläres Organ eine selbständige Bewegung aus, etwa wenn die Krankheit aus dem Mund des Betroffenen heraussteigt, der Schmerz sich ausbreitet, der Schleim keinen Weg aus dem Bauch findet oder das Herz geht (Metapher für den Pulsschlag). Des Weiteren können auch Kommunikationsverben mit einzelnen Körperteilen verbunden werden, wobei ein überraschender Nominativ der Sache den erwarteten Nominativ der Person ersetzt: Es ist beispielsweise für die Diagnostik von großer Relevanz, ob Herzgefäße sprechen oder stumm/taub bleiben. 


Mehr-Metaphern und Weniger-Metaphern:
Glossen als Messinstrumente für Metaphorizität
Im Anschluss an das präsentierte Tableau verschiedener medizinischer Metaphern wurde die Frage nach der zeitgenössischen Wahrnehmung der metaphorischen Ausdrücke aufgeworfen – ob sie bereits konventionalisiert und in ihrer Bildlichkeit unauffällig, intransparent waren oder aber als erklärungsbedürftiges Novum erkannt wurden. Als Messinstrumente für den Grad der wahrgenommenen Metaphorizität wurden die Glossen präsentiert. Ihre Präsenz ließe sich nämlich als schriftgewordener Verwunderungsausruf, als Signal für sprachliche Innovation, als Vignette zur Markierung einer Sprachneuerung deuten. Die Absenz von Glossen ist analog als Indiz dafür anzusehen, dass die nicht-glossierten, nackten Metaphern zum selbstverständlichen Teil des medizinischen Fachlexikons geworden waren.

Zu unterscheiden ist zwischen mehreren Erklärungsmustern bzw. Glossenformaten. Im einfachsten Fall enthält die Glosse eine Erklärung der Metapher, gegebenenfalls auch einen Hinweis zum rekonstruierten Assoziationsweg, der zu ihrer Bildung geführt hat. So wird die Diagnose ,Das Herz trocknet‘ als jener Zustand aufgelöst, wenn es zu Beschwerden infolge einer Blutgerinnung kommt. Die Formulierung ,Das Herz ertrinkt‘ sei ihrerseits eine Metapher für die Vergesslichkeit, wenn ein Mensch in seine Gedanken versinkt und sich nicht mehr konzentrieren kann. Eine weitere Möglichkeit besteht in der Erweiterung des bildlichen Rahmens, wenn die Metapher durch eine andere Metapher erklärt wird. Der ,Tanz des Herzens‘ wird als eine pathologische Erscheinung gedeutet, wenn das Herz sich von der linken Brust entfernt; die ,Dunkelheit des Herzens‘ wird wiederum durch die Enge und Finsternis im Leib des Zornigen aufgeschlüsselt. Schließlich können die Glossen elaborierte Vergleiche entspinnen und auf alltägliche Situationen verweisen, um die Metaphern zu erläutern. Das Symptom ,Das Herz ist heiß‘ wird mit der Situation eines Mannes verglichen, der von einem stechenden Insekt gepeinigt wird; ,das Herz ist betrübt‘ sei der metaphorische Ausdruck für ein Befinden, wie wenn ein Mann ungeritzte Sykomorenfeigen gegessen hat. Spätestens an dieser Stelle drängt sich die Erkenntnis auf, dass Metaphern nicht dazu dienen, das Verständnis zu erleichtern, sondern dass ihre primäre Funktion vor allem in der Veranschaulichung, in der Modellierung von einprägsamen Bildern besteht.


Das Tempus der Metaphorizität: 
Metaphern im Präsens, Nicht-Metaphern im Präteritum 

In einem argumentativen Postskriptum, aber auch in der anschließenden Diskussion wurde die relativierende Überlegung aufgeworfen, dass die besprochenen Formulierungen, die der moderne Philologe als Metaphern rubriziert, für die Altägypter proprie-Propositionen über die Wirklichkeit waren. Wenn das Herz und der Schleim einen höheren ontologischen Status genießen und als selbständige belebte Wesen gelten, wenn die Wunde als Versteck des auszutreibenden Feindes betrachtet oder wenn die Krankheit als ein in den Körper eingetretener Bösewicht verstanden wird, sind die obigen Beispiele als geistesgeschichtliche Zeugnisse für eine alteritäre Weltanschauung, aber nicht als Produkte von bildsprachlicher Filigranarbeit zu analysieren. 


Austausch in Fortsetzungen
Die neulich eingeführte Praxis des Graduiertenkollegs, die/den Gastexpert/in/en auch am Folgetag nach der Plenumssitzung und dem gemeinsamen Abendessen zum weiterführenden zweistündigen Vormittagsaustausch mit den Doktorandinnen und Doktoranden einzuladen, hat sich auch diesmal vorzüglich bewährt. In einem anderen situativen Rahmen konnten thematische Cliffhanger des Vortrags in der Plenumssitzung aufgegriffen und weiterverfolgt, aber auch allgemeine Fragen zur für mehrere entstehende Dissertationen unentbehrlichen Metaphertheorie diskutiert werden (Abb. 1).

 Abb. 1: Jun.-Prof. Dr. Camilla Di Biase-Dyson (Mitte) im Gemeinschaftsraum des Graduiertenkollegs
mit den Doktorandinnen und Doktoranden sowie Post-Docs.
(Foto: Katharina Zartner)



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