16. Symposium des Mediävistenverbandes "Gebrauch und Symbolik des Wassers in der mittelalterlichen Kultur" ‒ Bern, 22.-25. März 2015

Ein Beitrag von Stephanie Mühlenfeld.

Vom 22. bis 25. März 2015 fand in Bern das 16. Symposium des Mediävistenverbandes statt, an dem über 100 Vortragende aus unterschiedlichen Disziplinen der Mittelalterforschung teilnahmen. Die Symposien des Mediävistenverbandes werden alle zwei Jahre an unterschiedlichen Orten veranstaltet, wobei ein gemeinsames Oberthema in all seinen Facetten und aus den verschiedensten Perspektiven heraus beleuchtet wird. Das diesjährige Treffen stand ganz im Zeichen des Wassers; einer Thematik, die ein sehr breites Spektrum an Fragestellungen und Aspekten ermöglichte.

Anna-Seiler-Brunnen in der Berner Marktgasse (Bild: Michael Scholz).

Aufgrund jener Vielfalt und Fülle an Betrachtungsmöglichkeiten, waren bei dem Symposium insgesamt 34 Sektionen zu vier differenten Themenfeldern vertreten, die oftmals auch Berührungspunkte und gemeinsame Schnittmengen aufwiesen. Innerhalb der ersten beiden größeren Blöcke wurden die Aspekte "Umwelt, Klima und Ökologie" sowie "Verkehrsmittel, Grenze und Machtgrundlage" thematisiert. Zwei weitere Schwerpunkte bildeten die Gebiete "Naturkunde und Naturphilosophie" sowie "Symbolbildungen in Religion, Literatur und Kunst".
 
Der perfekte Tagungsort für die "Wasser"-Thematik: Das Stadtbild Berns wird von unzähligen Brunnen und dem Flusslauf der Aare bestimmt (Foto: Sabine Obermaier).
 

Die Ankunft in der "Stadt der Bären"


Nach der Ankunft der Teilnehmer fand am 22. März ein gemeinsames Abendessen im "Alten Tramdepot" statt, das direkt neben einer der faszinierendsten Attraktionen Berns gelegen ist: dem Berner Bärenpark, der zur Zeit einer dreiköpfigen Braunbär-Familie ein Zuhause bietet (Abb. 4). Da die Bären gerade aus dem Winterschlaf erwacht waren, fand ein Zusammentreffen zwischen Mediävisten und Bären statt, das zumindest auf Seiten der Wissenschaftler zu größter Begeisterung und Verzückung führte. Schließlich war der Bär bereits im Mittelalter das Wappentier der Stadt Bern und seit 1513 ist auch die Bärenhaltung fester Bestandteil der Stadtgeschichte.
 

Vom "Wasser in der mittelalterlichen Medizin" bis zum "Zusammenleben der Piraten auf dem Mittelmeer"


Den Auftakt des wissenschaftlichen Programms bildete am darauffolgenden Tag der Plenarvortrag ORTRUN RIHAS (Leipzig, Medizingeschichte) zu dem Thema "Wasser in der mittelalterlichen Medizin und Naturkunde", innerhalb dessen zunächst auf die Rolle des Wassers im mittelalterlichen Kosmos eingegangen wurde. Dabei verdeutlichte die Medizinhistorikerin, dass Wasser im Kontext der Humoralpathologie auf Entitäten wie beispielsweise den Norden, die Nacht, den Mond, die Venus, das Kindesalter oder das Weibliche verweist und mit diesen 'Dingen in der Welt' einen Konnex bildet. Darüber hinaus galt Wasser in der Säftelehre als 'dem Schleim zugeordnet'. Diese Annahme kann als die Grundlage der Medizin Hildegards von Bingen angesehen werden und führte zu der Herausbildung einer Diätetik, die darauf abzielte, ein ausgewogenes Verhältnis zwischen warm und kalt sowie trocken und feucht zu schaffen. Jenen 'Ausgleich' erachtete man im Mittelalter als Prämisse für die menschliche Gesundheit. Neben dem Anwendungsbereich der Diätetik bestand auch stets der der äußeren Anwendung, welcher Aspekte wie "kultische Reinheit", "rituelle Waschungen" und "Taufe" ebenso mit einschließt wie das ‒ eher dem Profanbereich zugehörige ‒ Thema der "mittelalterliche[n] Badestube als Teil der Stadtkultur".
 
Auf den Vortrag Rihas folgten am 23. März verschiedenste Beiträge innerhalb der Sektionen, sowie der Plenarvortrag NIKOLAS JASPERTS (Heidelberg, Geschichte) zu dem Thema "Liquide Welten ‒ Zum Mittelalter aus maritimer Sicht", welcher in der prachtvollen Aula der Berner Universität stattfand. Jaspert erläuterte, der Fokus der geschichtswissenschaftlichen Mittelmeerforschung habe seit dem 19. Jh. insbesondere auf dem westlichen Mittelmeerraum gelegen und den östlicheren Gebieten sowie der Levante-Küste sei nur wenig Aufmerksamkeit zuteil geworden. Ebenso sei das geschichtswissenschaftliche Bild vom Mittelalter in der Vergangenheit überwiegend "terrestrisch geprägt" gewesen. Eine "maritime Perspektivverschiebung" – innerhalb der die Welt nicht mehr nur vom Land, sondern auch vom Meer aus betrachtet würde – könne jedoch für die Mediävistik sehr interessant sein und neue Erkenntnisse zutage fördern. Daher sei es notwendig, ein neues Raumverständnis anzulegen, das kein ausschließlich physisches mehr sei, sondern sich auf verschiedenste Aspekte der Kultur erstrecke. Eine solche Öffnung der Geschichtswissenschaft hin zur Kulturwissenschaft ‒ im Rahmen eines "Maritime Turn" ‒ habe insbesondere die sieben Bereiche "Herrschaft, Wirtschaft, Gesellschaft, Maritime Wissensgeschichte, Religion, Umweltgeschichte und fernräumliche Kommunikation" zu berücksichtigen.

Dabei sei beispielsweise zu hinterfragen, wie mit Schiffen Macht ausgeübt wurde und ob es im Mittelalter eine spezifisch maritime Diplomatie gab. Aber auch über das Meer als einem Ort des Fernhandels sowie über maritimen Transfer und Netzwerke sei nachzudenken, wobei vor allem Häfen als "Knotenpunkte maritimer Beziehungsgeflechte" stärker in den Fokus der Betrachtung gerückt werden müssten.

Darüber hinaus dürfe aber auch die kognitive Komponente nicht vernachlässigt werden. Bei der Beantwortung der Frage nach der Vorstellung vom Meer seien drei "Stufen maritimen Lebens" zu berücksichtigen: das Leben am Meer, jenseits des Meeres und auf dem Meer.

Auf sozialgeschichtlicher Ebene schließlich könne man sich mit der sozialen Herkunft von Piraten auseinandersetzen und untersuchen, ob Piraten tatsächlich in einer hierarchisch gegliederten Mannschaft – mit einem mehr oder weniger Diktator-ähnlichen Kapitän – zusammenlebten oder ob es unter ihnen demokratische Strukturen gab.  
 
Von der prachtvollen Aula der Berner Universität aus bietet sich ein wunderbar alpines Panorama (Foto: Sabine Obermaier).
 

Wassertiere – Mittelalterliche Denkfiguren zur Erfassung einer unbekannten Welt


Im Rahmen von zwei Wassertier-Sektionen wurde auch das Graduiertenkolleg "1876 Frühe Konzepte von Mensch und Natur" durch SABINE OBERMAIER (Sektionsleitung) und STEPHANIE MÜHLENFELD vertreten. Der Gedanke, der unseren beiden Sektionen zu Grunde lag war, dass die Wasserfauna – mit Ausnahme der Speisefische und jagdbarem Geflügel – für die Menschen im Mittelalter eine fremde Welt darstellte. Unsere Sektionen zielten daher darauf ab, diejenigen Denkfiguren herauszuarbeiten, mit denen mittelalterliche Gelehrte und Literaten die für sie unbekannte Welt zu erfassen versuchten.

Den Wassertier-Einstiegsvortrag zu dem Thema "Entre Cosmographie, Zoologie et Merveilleux. L'idée d'un monde marin symétrique du monde terrestre au Moyen Âge" hielt JACQUELINE LECLERQ-MARX (Brüssel, Kunstgeschichte). Anhand verschiedener bildhafter Darstellungen verdeutlichte die Kunsthistorikerin sehr anschaulich, dass im Mittelalter die Vorstellung verbreitet war, jedes auf der Erde lebende Wesen habe ein im Meer beheimatetes Pendant. Ein besonders lustiges Beispiel hierfür ist etwa der sogenannte 'Meermönch'; ein Lebewesen, von dem man annahm, seine obere Körperhälfte gleiche der eines Mönches und die untere der eines Fisches.

HÉLÈNE CAMBIER (Namur, Kunstgeschichte) stellte daraufhin in ihrem Vortrag "La baleine au Moyen âge, un grand poisson qui pose question" verschiedene mittelalterliche Vorstellungen vom Walfisch vor. Dabei wurde deutlich, dass das Bild des Tieres von einer mythischen Aura bestimmt war. Die Vorstellung vom Wal – als einem Fisch des Teufels – hatte dabei allerdings so gut wie nichts mit dem real existierenden Tier gemein.

Das zweite Wassertier der Sektion, der Wasserdrache, wurde von THOMAS HONNEGER (Jena, Anglistik) präsentiert. Es zeigte sich, dass sich aus den mittelalterlichen Text- und Bildzeugnissen kein konsistentes Bild des draco marinus ergibt, denn manchmal ähnelt dieser mehr einer Schlange, in anderen Darstellungen wiederum besitzt er Flügel oder ist von dem an Land lebenden Drachen nicht zu unterscheiden.

In dem darauffolgenden Vortrag "Die 'jungfräuliche' Barnikelgans – Klerikal geprägte Denkmuster und ihr Einfluss auf die Wahrnehmung fremder Wasservögel" ging STEPHANIE MÜHLENFELD auf die mittelalterliche Vorstellung ein, Barnikelgänse wüchsen an Bäumen in Wassernähe. Zunächst wurde hinterfragt, wie es überhaupt erst zu dieser Entstehungstheorie kommen konnte. In einem weiteren Schritt wurden daraufhin vier verschiedene mittelalterliche Überlegungen zur Exegese des Tieres vorgestellt.

Auf die Barnikelgans folgte als viertes Wassertier das Krokodil, auf das RICHARD TRACHSLER (Zürich, Romanistik) in seinem Vortrag "Le Crocodile, cet inconnu" einging. Trachsler erläuterte, da das Krokodil – wie auch zahlreiche andere Wassertiere – im Mittelalter weitgehend unbekannt gewesen sei, habe es eine 'Projektionsfläche' geboten, auf die man die verschiedensten Charakteristika und auch Eigenschaften anderer Tiere projizierte. Genau wie für den Wasserdrachen gibt es auch für das Krokodil keine einheitliche Darstellungstradition. So zeigen etwa die mittelalterlichen Bestiarien das Tier zuweilen mit Schnabel und Flügeln – dann aber auch wieder echsenähnlich und mit Stacheln.

In ihrem Vortrag "Zu Symbolik und Funktion von Wassertieren: Synthese und Abschlussdiskussion" führte SABINE OBERMAIER die in den einzelnen Vorträgen aufgezeigten Linien zur "Wahrnehmung der Wassertiere" zusammen und ergänzte die gewonnenen Erkenntnisse um weitere Fallbeispiele aus der deutschsprachigen Literatur des Mittelalters. So wurde unter anderem anhand des "Gregorius" Hartmanns von Aue, des "Alexander" Johannes Hartliebs und des "Apollonius von Tyrland" Heinrichs von Neustadt noch einmal präzisiert, inwiefern Wassertiere im Mittelalter als 'Spiegelbild', multifunktionale Projektionsfläche und Einfallstor für Fantastik angesehen werden können.

Neben den spannenden Vorträgen war es stets möglich, sich während der Pausen auch an den zahlreichen Verlagsständen über neuerschienene Fachliteratur zu informieren, interessante Gespräche zu führen und in angenehmer, freundlicher Atmosphäre neue Kontakte zu knüpfen.
 
Bär im Berner Bärenpark (Foto: Sabine Obermaier).
Abschließend möchte ich mich ganz herzlich für die Finanzierung meines Bern-Aufenthaltes durch das DFG-Graduiertenkolleg 1876 "Frühe Konzepte von Mensch und Natur" bedanken und als Fazit festhalten: Das Symposium des Mediävistenverbandes und meine Zeit in Bern waren eine große Bereicherung und einfach bärenstark!

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