Fest und flüchtig. Konzepte von Tod auf den römisch-kaiserzeitlichen Sarkophagen mit Darstellungen von Meleager und Atalante. Gastvortrag von Prof. Dr. Katharina Lorenz

 Ein Beitrag von Christoph Appel.

 

Mit Professorin Katharina Lorenz, Inhaberin der Professur für Klassische Archäologie an der Justus-Liebig-Universität Gießen, durften wir bereits zum zweiten Mal in diesem Semester eine Gastrednerin im Graduiertenkolleg begrüßen. Im Mittelpunkt ihres Vortrages standen mythologische Reliefs auf römischen Sarkophagen, wie sie sich vermehrt seit dem 2. Jh. n. Chr. finden, sowie die darin artikulierten Jenseitsvorstellungen und Wertediskurse.

Nach einer allgemeinen Einführung in die römische Grabkultur gab die Referentin zunächst einen Überblick über das Sarkophagrelief als Medium des Totengedenkens (commemoratio). Der Formenreichtum, der sich den zeitgenössischen Betrachtenden bot, erstreckte sich dabei von mythologischen Sujets über prestigeträchtige Episoden einer öffentlichen Ämterlaufbahn (cursus honorum) bis hin zu privat-familiären Szenen der vita Romana. Dass der Mythos dabei keine abstrakte Projektionsfläche darstellte, sondern unmittelbar zur Aktualisierung und Vergegenwärtigung des Verstorbenen, mithin zur Tröstung (consolatio) der Hinterbliebenen funktionalisiert wurde, zeigte eindrucksvoll etwa die bildnerische Verquickung historischer Portraits mit den Körpern mythischer Figuren (Abb. 1).

 

Abb. 1: Sarkophagkasten mit Achill und Penthesilea. Vatikanstadt, Musei Vaticani, Inv.-Nr. 933.

 

Großer Beliebtheit erfreute sich auf den kaiserzeitlichen Sarkophagen der Mythos von Meleager, der textlich heute wesentlich durch Homers Ilias (9.529-599) und Ovids Metamorphosen (8.267-546) fassbar ist: Meleager gelingt es mit Hilfe der Brüder seiner Mutter, den gefürchteten Kalydonischen Eber zu erlegen. Als er jedoch der Jägerin Atalan­te das Fell das Tieres schenkt, da ihr der erste Treffer gelungen ist, zieht er den Zorn seiner Onkel auf sich, woraufhin er diese im Streit erschlägt. Als Meleagers Mutter Althaia vom Mord an den Brüdern erfährt, verbrennt sie ein Holzscheit, an dem das Schicksal des Helden hängt. Sein Tod ist unabwendbar. Die mehr als 200 römischen Reliefs, die auf den Mythos Bezug nehmen, referieren besonders auf drei Episoden: die Eberjagd, den Helden im Kampf vor der Stadt Pleuron sowie auf dem Totenbett. Im Hauptteil ihres Vortrages widmete sich Katharina Lorenz dem Pariser Meleager-Sarkophag, einer Darstellung, in die alle drei Episoden des Mythos Eingang finden (Abb. 2).

 

Abb. 2: Meleager-Sarkophag. Paris, Musée du Louvre, Inv.-Nr.: MA 539.

 

Eingehend arbeitete die Referentin für das Relief ein komplexes Wechselspiel zwischen Nähe und Ferne, zwischen griechischem Mythos und vita Romana heraus. So zeichnete sie für die Figur Meleagers einen Prozess der Heroisierung nach. Dabei verweise etwa die Ersetzung des Speers als typischer Jagdwaffe durch das Schwert, das ebenfalls am Totenbett erscheint, auf die Transformation der Eberjagd zur kriegerischen Schlacht, mithin auf ein Heldenleben in umfassender Darstellung – sowohl in öffentlich-kämpferischer als auch familiär-intimer Sphäre (Abb. 3).

 

Abb. 3: Meleagers Schwert, Detail aus Abb. 2.

 

In der Darstellung kommt der am Totenbett sitzenden Atalante die Rolle einer trauernden Angehörigen zu, das Identifikationspotenzial für eine gleichfalls trauernde Betrachterin der Szene ist unmittelbar einleuchtend. Überdies zeigte Professorin Lorenz eine bemerkenswerte Liminalität der Figur auf, die wesentlich auf der Inszenierung des Blicks beruhe. Das halbseitig verdeckte Gesicht trage zur Verfremdung der Trauerszene bei, insofern es gleichsam aus dem Relief herausweise und damit eine Schnittstelle zwischen Darstellung und Betrachtenden bilde. Im Medium des Bildes würden Tod und Trauer auf diese Weise in den Horizont existenzieller Grenzerfahrung gerückt.


 

Abb. 4: Atalantes Blick, Detail aus Abb. 2.
 

Abschließend nahm die Referentin Althaia als zweite weibliche Figur des Reliefs in den Blick. Deutlich wurde, dass die schicksalhafte Verbrennung des Holzscheits, die den Tod Meleagers einleitet, nicht nur symbolisch linke und mittlere Bildsektion verklammert; vielmehr spiegelten sich in dem Frauenensemble Althaia-Atalante Figurationen des weiblichen Traumas wider: einerseits die aus Althaias geschwisterlicher Verbundenheit (pietas) zu ihren ermordeten Brüdern erwachsende moralische Verpflichtung (officium), andererseits der Verwandtenmord als Exempel der concordia zwischen Meleager und Atalante.

Katharina Lorenz gelang es durch ihren Vortrag, exemplarisch die Inszenierung eines hybriden Todeskonzepts für den Pariser Meleager-Sarkophag sowie die Integration verschiedener Lebens- und Trauerentwürfe zu verdeutlichen. Die von ihrer skizzierten Oszillation zwischen Mythos und vita Romana, Intimität und Öffentlichkeit sowie bildlicher Darstellung und Betrachtung mündete sogleich in eine engagierte Diskussion des Auditoriums.

 

Weiterführend mit ausführlichen Literaturangaben:

Lorenz, K., Image in Distress? The death of Meleager on Roman sarcophagi, in: J. Elsner – J. Huskinson (Hrsg.), Life, Death and Representation. Some New Work on Roman Sarcophagi, Millennium-Studien 29 (Berlin/New York 2011) 305-332.

Lorenz, K., Mythological Images and Their Interpretation. An Introduction to Iconology, Semiotics, and Image Studies in Classical Art History (Cambridge 2016) 210-221.


Kommentare