Konzeptbegriff(e) im GRK

Ein Beitrag von Marie-Charlotte v. Lehsten.

In der Plenumssitzung am 19. Januar 2017 widmeten sich die versammelten Mitglieder des GRKs der Erörterung ihres Konzeptbegriffes. Die Frage nach Konzepten ist eines der grundlegenden Elemente der thematischen Ausrichtung des GRKs und so müssen bzw. mussten sich alle Promovenden in ihrer Arbeit auch damit auseinandersetzen, was genau unter einem "Konzept" zu verstehen ist.
Da inzwischen manche Dissertationen bereits abgeschlossen sind und einige sich in der finalen Phase befinden, während die neue Generation gerade ihre Arbeit aufnimmt, bot sich der Zeitpunkt an, um zusammenzutragen und zu reflektieren, welche Konzeptbegriffe sich für die einzelnen Untersuchungen am tragfähigsten erweisen und inwieweit diese unter Umständen konvergieren. Besonders spannend war diese Frage vor dem Hintergrund, dass vom GRK von Beginn an bewusst keine Konzeptdefinition vorgegeben worden war, mit dem Ziel, ein möglichst differenziertes und den jeweiligen Untersuchungsfeldern gerecht werdendes Spektrum zu erhalten, bei dem etwaige Übereinstimmungen nicht durch vorherige Beeinflussung zustande kommen.
In einem ersten Beitrag stellte GRK-Sprecherin Prof. Dr. Tanja Pommerening die Behandlung des Begriffes "Konzept" im Einrichtungsantrag des GRKs vor: Unter Verzicht auf eine konkrete Definition wurden hier vor allem zu erforschende inhaltliche Aspekte von Konzepten (z.B. deren mediale Vermittlung, ihre Entstehung, lokale und temporale Ausprägung etc.) sowie methodische Grundsätze für deren Untersuchung erläutert und als Zielsetzung ein Vergleich der in den einzelnen Dissertationen herausgearbeiteten Konzepte formuliert. Definitorische Hinweise bot eine Zusammenstellung von Synonymen für den Begriff "Konzept".
Zudem präsentierte Frau Pommerening das im Antrag vorgestellte Beispiel, die Betrachtung von Konzepten der Unfruchtbarkeit im Alten Ägypten und im antiken Griechenland: In beiden Bereichen stieße man auf Texte mit fast identischem Inhalt (Beschreibung eines Prognosemittels hinsichtlich der Sterilität von Frauen), bei denen aber die hinter dem empfohlenen Vorgehen und den Bestandteilen des anzuwendenden Präparats stehenden Konzepte in beiden Kulturen unterschiedlich sind: Im ersten Fall findet eine Übertragung von bestimmten Elementen eines komplexen mythologischen Hintergrunds statt, im zweiten wurde die geschilderte Praxis aus der anderen Kultur übernommen und hat daher mutmaßlich eine neue konzeptuelle Einbindung erfahren.
 

Grundlegende Merkmale von Konzepten

Aus den Reihen der Doktoranden präsentierte zunächst Mari Yamasaki die von der jüngsten Generation gemeinsam erarbeiteten grundlegenden Facetten von Konzepten: Konzepte lassen sich im weitesten Sinne als gedankliche Konstrukte der Organisation von Wissen über einen bestimmten Gegenstand beschreiben. Dabei können Konzepte von eng verbundenen Phänomenen in horizontal und vertikal gegliederten Rastern angeordnet werden; Konzepte können einander beeinflussen, flexibel ineinander übergehen oder an ihren Schnittstellen neue Konzeptbildungen erkennen lassen (vgl. Abb. 1).



Abb. 1: Konzeptdarstellung anhand eines Venn-Diagramms (von Oxana Polozhentseva).

Der Rahmen dessen, was ein Konzept umfasst, kann unterschiedlich weit sein und sich nicht nur auf konkrete Entitäten, sondern auch auf Abstrakta oder Vorgänge beziehen. Gerade bei der Beschäftigung mit der ferneren Vergangenheit ergeben sich aber auch gewisse Grenzen der Ergründung von Konzepten, für die nur begrenztes Material vorhanden ist. Auch gilt es, eine Sensibilität für die Differenzierung zwischen literarischen und wirklichkeitsempirischen Konzepten zu entwickeln. Ein weiterer, etwas spezifischerer Ansatz ist das Verständnis von Konzepten als rekonstruktive Modelle, die ein Forscher im Zuge der Interpretation von Phänomen entwickelt.
 

Konzepte und kulturelles Wissen

Im Folgenden sprach Dominic Bärsch über den Konzeptbegriff in seinem Projekt "Weltuntergänge. Konzepte von Auflösung in der griechischen und lateinischen Literatur", bei dem er sich mit der Besonderheit auseinanderzusetzen hat, dass ein Weltuntergang nicht nur ein abstraktes, sondern auch ein noch nie real erlebtes Szenario darstellt – es kann also keine Prototypik für das Phänomen geben. Dabei erweist es sich am praktikabelsten, von mehreren Einzelkonzepten des Weltuntergangs auszugehen, die abhängig von Textsorte und Kontext jeweils literarisch und diskursiv geformt sind – etwa einem Konzept der Ekpyrosis bei einem bestimmten Autor. Diese Konzepte setzen sich aus Bausteinen des kulturellen Wissens zusammen, worunter "die Gesamtmenge der Propositionen, die die Mitglieder einer Kultur für wahr halten bzw. die eine hinreichende Anzahl von Texten der Kultur als wahr setzt" zu verstehen ist (Fn.1). Zur Ermittlung dieser Propositionen sind wiederum literaturwissenschaftliche Methoden anzuwenden, wie etwa die Untersuchung von Intertextualität und narrativen Strukturen.
 

Konzeptuelle Metaphern

Schließlich präsentierte Victoria Altmann-Wendling das von G. Lakoff und M. Johnson erarbeitete (Fn. 2) und auch kognitionswissenschaftlich bestätigte Modell konzeptueller Metaphern, das sich für ihre Arbeit über den Mond in den religiösen Texten des griechisch-römischen Ägypten als fruchtbar erwiesen hat. Die kognitive Linguistik versteht Metaphern nicht bloß als sprachliches Stilmittel der Verknüpfung ähnlicher Bereiche, sondern als Verbindung verschiedener Konzepte mittels struktureller Ähnlichkeiten, als Transport von Bedeutungen von einem Ursprungs- in einen Zielbereich. Dies geschieht sowohl in literarischen Texten als auch in vielen Wendungen der Alltagssprache und dient häufig der Veranschaulichung, etwa wenn Elemente aus einem bekannteren in einen abstrakteren Bereich übertragen werden.
So lassen sich anhand von Metaphern (etwa wenn der Mond in ägyptischen Texten als Kind oder als Auge bezeichnet wird) Rückschlüsse über die Eigenschaften ziehen, die dem Mond zugeschrieben werden. Diese müssen dabei gar nicht konkret verbalisiert sein: Das Augenmerk liegt vor allem darauf, welche Aspekte des Ausgangskonzeptes in den Aussagen impliziert werden. Zu berücksichtigen ist generell, dass die metaphorischen Aussagen meist asymmetrisch nur in eine Richtung zu denken sind und dass die Übertragung auch nicht alle, sondern nur bestimmte Aspekte umfasst. Verschiedene Metaphern können sich überschneiden und ergänzen und – sofern sie verschiedene Aspekte eines Gegenstands beleuchten – auch scheinbare Widersprüche produzieren.
 

Diskussion

In der abschließenden Diskussion wurde als grundsätzliche Fragestellung die Unterscheidung zwischen dem Modell "Metakonzept und (Teil-)Konzepte" und dem Modell "Konzept und Konzeptbestandteile (nämlich Eigenschaften bzw. proprietates des betrachteten Gegenstands)" in den Raum gestellt. Zum einen könnte hier lediglich von einer unterschiedlichen Terminologie für einen im Großen und Ganzen ähnlichen Sachverhalt ausgegangen werden, zum anderen ist es denkbar, den Begriff "Metakonzept" auf einer anderen Ebene anzusiedeln und so zwischen zwei unterschiedlichen Perspektiven zu unterscheiden (und damit auch eine Ambivalenz zu konkretisieren, die bereits in allen Beiträgen der Sitzung in irgendeiner Weise angeklungen war): Auf der einen Seite steht das Streben nach einer Rekonstruktion "historischer" Konzepte bzw. das Ergründen literarischer Konzepte ausgehend von Texten und evtl. deren Autoren; auf der anderen Seite die Konstruktion von "Metakonzepten" durch den Forscher als eine Art theoretisch-methodische Verstehenshilfe, die sich ihrer Artifizialität bewusst ist.
Fußnoten:
(1) M. Titzmann, Kulturelles Wissen – Diskurs – Denksystem, in: Zeitschrift für Französische Sprache und Literatur 99 (1989), 47-60, hier: 49.
(2) Leben in Metaphern. Konstruktion und Gebrauch von Sprachbildern. Heidelberg 2003.

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