„Ameisen und Bienen – Staatsverfassungen sozialer Insekten“ – Ein Vortrag von Prof. Dr. Niels Werber
Ein Beitrag von Dominik Berrens.
Am 24. Juli 2014 lud das Graduiertenkolleg
1876 zu einem öffentlichen Vortrag des Germanisten und Medienwissenschaftlers
Prof. Dr. Niels Werber ein. Herr Werber, der den Lehrstuhl für Neuere deutsche
Literaturwissenschaft I an der Universität Siegen inne hat, widmet sich in
seiner Forschung unter anderem der Frage nach Selbstbeschreibungsformeln der
Gesellschaft sowie der Darstellung sozialer Insekten – zwei Forschungsgebiete,
die für ihn eng zusammengehören.
Menschliche und tierische Gesellschaft
In seinem Vortrag "Ameisen und Bienen –
Staatsverfassungen sozialer Insekten" untersuchte Niels Werber die
Darstellungen der Gesellschaften von Bienen und Ameisen. Bienen werden seit der
Antike traditionell immer als Monarchie verstanden, mit einem mehr oder weniger
starken König an der Spitze; Ameisen hingegen werden in der
griechisch-römischen Antike (z. B. Aristoteles Historia animalium 1,1 488a 10-14) und auch im Alten Testament
(Spr. 6,6-8) als "anarchisch", d. h. ohne Herrscher, beschrieben. Bewunderung
erwächst ihnen vor allem aus der Tatsache, dass ihr Gemeinwesen trotz des
scheinbaren Fehlens eines Anführers wohl organisiert ist.
In neuzeitlichen Diskursen wird die Ameise
immer stärker mit der Vorstellung eines demokratischen Staates in Verbindung
gebracht. Die Gesellschaft der Ameisen wird dabei je nach Haltung des Textes zu
dieser (menschlichen) Regierungsform entweder negativ, so z. B. in den
sogenannten Emblemata des Johannes Sambucus
aus dem Jahre 1564 oder positiv dargestellt, so z. B. in Lessings Ernst und Falk.
Bienenstock und Ameisenhaufen können als
Legitimation für die jeweils mit ihnen
verknüpfte Herrschaftsform angeführt werden, so z. B. in Flauberts Bouvard und Pécuchet, wo ein
monarchistisch eingestellter Diskutant, die Bienen als Beleg für die Monarchie
ansieht, woraufhin sein demokratischer Kontrahent die Ameisen als Gegenbeispiel
nennt.
Biologie als Soziologie
Mit dem Beginn des 20. Jahrhunderts werden
in zunehmenden Maße biologische und sozialwissenschaftliche Ansätze und
Methoden miteinander verknüpft. Fachgebiete wie Entomologie und Soziologie
beeinflussen sich gegenseitig in ihren Theorien und es entstehen neue
Fachrichtungen wie die Soziobiologie. Die Insektengesellschaften gelten als
Studienobjekte, die auch Erkenntnisse über die menschliche Gesellschaft liefern
können. Gesellschaft wird dabei als bloße social
aggregation verstanden. Insofern ist ein Insektenstaat ebenso als
Gesellschaft anzusehen wie eine menschliche Gemeinschaft. Im Zentrum der
Untersuchungen der menschlichen und tierischen Gesellschaften steht dabei nicht
mehr das einzelne Individuum, das in beiden Fällen gewissermaßen zum bloßen simple agent innerhalb eines Systems reduziert
wird, sondern die Gesellschaft als Ganzes und die Mechanismen, die zu
Entscheidungen führen (decision making).
Die Frage nach dem rationalen Handeln des einzelnen Insekts (und auch des
Menschen), die für die früheren Darstellungen zentral war, wird in diesem
Konzept obsolet.
Die Beschreibung des Insektenstaates als Selbstbeschreibung der menschlichen Gesellschaft
Beschreibungen von Insektengesellschaften spiegeln so
immer auch Vorstellungen von der menschlichen Gesellschaft wider. Dies gilt für
die historische ebenso wie für die moderne entomologische Forschung etwa von
Edward O. Wilson oder Thomas D. Seeley. Niels Werber zeigte nicht nur in diesem
Vortrag, sondern bereits in seinem Aufsatz "Ameisen und Aliens. Zur
Wissenschaftsgeschichte von Soziologie und Entomologie" (2011) (Fn. 1) sowie in seinem Buch "Ameisengesellschaften – Eine Faszinationsgeschichte" (2013) (Fn. 2) (besonders S. 159-276), eindrücklich, wie stark diese vermeintlich objektiven
naturwissenschaftlichen Darstellung von bestimmten Konzepten über die
menschliche Gesellschaft geprägt sind.
Fußnoten:
[1] Werber, N. (2011): Ameisen und Aliens. Zur Wissenschaftsgeschichte von Soziologie und Entomologie, in: Berliner Beiträge zur Wissenschaftsgeschichte 34, 242-262.
[1] Werber, N. (2011): Ameisen und Aliens. Zur Wissenschaftsgeschichte von Soziologie und Entomologie, in: Berliner Beiträge zur Wissenschaftsgeschichte 34, 242-262.
[2] Werber, N. (2013): Ameisengesellschaften – Eine
Faszinationsgeschichte. Frankfurt am Main: S. Fischer.
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